
- pz, Annika Weckwerth, Meike Ziegler, Jeanne Mercier
Pforzheim. Es geht ihnen um die Umwelt, die Wirtschaft, die Verkehrspolitik, das Gesundheitssystem und Migration – wenige Wochen vor der Bundestagswahl haben sich Oberstufenschüler des Pforzheimer Hebel-Gymnasiums mit den Wahlprogrammen, Themen und Forderungen der prominentesten Parteien und ihren Direktkandidaten im Wahlkreis Pforzheim/Enz auseinandergesetzt. In Kooperation mit der „Pforzheimer Zeitung“haben Schüler aus dem Gemeinschaftskundeunterricht von Lehrerin Sina Feuchter, dem Geschichts- oder Deutschunterricht von Lehrer Sebastian Barth und dem Deutschunterricht von Lehrerin Christiane Neudorfer zum Jahresanfang klassenübergreifend Briefe mit Fragen und Sorgen an die lokalen Direktkandidaten zu Papier gebracht.
Die PZ veröffentlicht an dieser Stelle Ausschnitte der besagten Briefe. Die angesprochenen Wahlkämpfer – Katja Mast (SPD), Rainer Semet (FDP), Gunther Krichbaum (CDU), Helmut Kuntschner (Linke), Diana Zimmer (AfD) sowie die hiesigen Grünen – haben nun eine Woche lang die Gelegenheit, Antworten zu geben. Diese werden am Samstag, 1. Februar, ebenfalls in der PZ veröffentlicht. Ob sie damit zufrieden sind oder ob ihnen noch etwas auf dem Herzen brennt, bewerten die Schüler in einem persönlichen Fazit – nachlesbar am 8. Februar in der PZ.
Briefe an die Linke

"Sehr geehrter Herr Kuntschner,
Ich würde gerne das Thema Migration und Integration von Erwachsenen, als auch minderjährigen Immigranten in die deutsche Gesellschaft und deutsche Schulen ansprechen.
Migration gab es schon immer und wird es immer geben, weshalb wir lernen sollten, mit dieser andauernden Herausforderung umzugehen. Das Thema wird immer präsent sein, darum ist eine durchdachte und umsetzbare Integrationspolitik essenziell für eine gelungene Migration. Deutschland durchlebt seit der Flüchtlingswelle 2015 eine regelrechte „permanente Krisensituation“, welche zur Normalität wurde. Aktuell erleben wir durch den Krieg in der Ukraine eine weitere Ausnahmesituation, die erneut aufzeigt, wie dringend Änderungen in der Migrations- und Integrationspolitik erforderlich sind.
In Ihrem Wahlprogramm erläutern Sie Ihre Sicht auf Migranten als wertvolle Arbeitskräfte. Ihren Ansatz, deshalb eine schnellere Arbeitserlaubnis einzuführen, befürworte ich. Motivierten und qualifizierten Migranten das Recht auf Arbeit zu verwehren, wäre falsch. Vor allem wenn man den Vorteil für den deutschen Arbeitsmarkt bedenkt. Das schnellere Angebot von legaler Arbeit würde die Schwarzarbeit unter Migranten zudem eindämmen.
„Teilhabe statt Integration“ fordern Sie in Ihrem Wahlprogramm von 2021. Was genau meinen Sie mit dieser Aussage und wie definieren Sie demnach den Begriff „Integration“? Fordern Sie damit mehr Initiative von Seiten der deutschen Bevölkerung als von den Immigranten? Meiner Meinung nach beruht Integration nämlich auf Gegenseitigkeit.
Wenn von den Migranten nicht zu einem gewissen Grad gefordert wird, sich in unsere Gesellschaft, Kultur, Arbeitswelt, etc. zu integrieren, werden sie vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Integration kann durch reine „Teilhabe“ nicht funktionieren.
In ihrem aktuellen Wahlprogramm fordern Sie ein „Bundespartizipationsgesetz“, stellen die Idee einer „Quote“ vor, „um den Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der öffentlichen Verwaltung (…) zu erhöhen, und einen Partizipationsrat, der in wichtige Entscheidungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik einbezogen ist.“ Wie stellen sie sich diesen „Partizipationsrat“ konkret vor? Wer soll darin sitzen und wessen Interessen vertreten? Soll diese Tätigkeit beratend oder mitentscheidend sein? Für mich klingt das nach mehr als nur „Teilhabe“.
Nach meiner Meinung ist das zeitnahe Erlernen der Landessprache essenziell, um sich im Gastland zurechtzufinden, sich aktiv informieren zu können und überhaupt am gesamtgesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Für Ihre Partei scheint dies nach meiner Auffassung aber eher eine untergeordnete Rolle zu spielen. Ziehen Sie die Förderung und den Ausbau von deutschen Sprachkursen in Erwägung? Nach meinem Eindruck wurde sich hierbei bisher zu sehr auf ehrenamtliches Engagement verlassen.
In Schulen wollen Sie es möglich machen, dass Herkunftssprachen „auch als Erst- oder Zweitsprache anerkannt werden“. Was verstehen sie konkret darunter?
Aus der Sicht einer Schülerin bietet die Institution Schule die beste Chance für ausländische Kinder, unter Gleichaltrigen Deutsch zu lernen und sich in den Klassenverband zu integrieren.
Diesen Prozess würden Sie mit Ihrem Vorschlag behindern. So kann das Kind schlechter in Freundesgruppen oder Freizeitaktivitäten außerhalb der Schule aufgenommen werden. Spätestens im Arbeitsleben werden diese Personen enorme Schwierigkeiten bekommen, sich zu integrieren und Außenseiter sein.
Außerdem fragen wir Schüler uns, mit welchen Ressourcen sie sich die zusätzliche „individuelle Förderung“ an Schulen allgemein vorstellen. In einem Staat, in dem der Lehrermangel eine traurige Tatsache ist, der normale Unterricht kaum abgedeckt werden kann und es viel Unterrichtsausfall gibt, erscheint es uns als unmöglich ausreichend Lehrer hierfür zu finden. Insbesondere wenn von diesen erwartet wird, alle Herkunftssprachen von Migranten abzudecken, um das Anerkennen dieser als „Erst- oder Zweitsprache“ möglich zu machen. Was gedenken sie diesbezüglich zu unternehmen, um den Beruf des Lehrers wieder attraktiver zu machen? In Ihrem Wahlprogramm sprechen sie selbst von „ausreichend Fachkräften“ und einem „Zwei-Lehrer*innen-System“.
Des Weiteren möchten Sie „eine Schule für alle“, welche „ganztägig organisiert“ ist und „alle Schulabschlüsse“ anbieten soll, einführen. Mit welchem Geld? Woher kommen die nötigen Fachkräfte und Ausstattung? Ich sehe darin die Konsequenz, dass die von Ihnen gewünschte „individuelle Förderung“ eher behindert als gefördert wird. Schließlich wollen auch deutsche Muttersprachler ein Recht auf die versprochene „individuelle Förderung“ haben, was durch die dauerhaften sprachlichen Barrieren schwierig sein wird. Die bereits vorhandenen VKL-Klassen (Vorbereitungsklassen) sollten gestärkt und ausgebaut werden, um ausreichend für die Eingliederung in eine reguläre Klasse vorbereitet zu sein.
Wir als Schüler einer Klasse mit mehreren neu eingewanderten Ukrainern können bezeugen wie viel leichter es ist, sich mit jemandem anzufreunden, der unsere Sprache verstehen und sprechen kann. Auf der anderen Seite erleben wir, dass zum Teil Schüler auf unsere Schule kommen, welche den Unterricht kaum verstehen, geschweige denn dem Lernstoff folgen können. Das ist zwar Teilhabe, jedoch keine Integration. Die Lehrer haben schon jetzt
Schwierigkeiten, allen Schülern den Lernstoff im dafür vorgesehenen Zeitraum zu vermitteln. Wir sollten sie durch eine bessere Vorbereitung der neuen Schüler auf den Unterricht entlasten, anstatt immer mehr Anpassung und Aufwand von ihnen zu fordern. Dies würde den Beruf nämlich noch unattraktiver machen und das Problem, genug Fachkräfte für eine „individuelle Förderung“ zu bekommen, vergrößern.
Kurz gesagt, um große neue Schulreformen erfolgreich und problemlos einführen zu können, müssen wir zunächst die aktuellen Missstände bewältigen und effektive Lösungen finden.
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen."
Mit freundlichen Grüßen,
Annika Weckwerth
(Klasse 10)


Briefe nach Berlin: Pforzheimer Schüler fragen, Politiker sollen antworten
"Sehr geehrter Herr Kuntschner,
wir, zwei interessierte Abiturientinnen des Hebel-Gymnasiums, schreiben Ihnen mit Bedenken und Fragen hinsichtlich Ihrer Klimaziele. Der Klimawandel versetzt die ganze Gesellschaft unter Zeitdruck. Aus diesem Grund ist eine starke und durchdachte Klimapolitik ein Muss. Nicht nur in uns, sondern auch in einem großen Teil der Jugend und der jungen Erwachsenen, erwecken die bereits spürbaren Folgen des Klimawandels Angst vor der Zukunft.
Sie sagten in ihrem Parteiprogramm für dieses Jahr, dass Klimawandel und soziale Gerechtigkeit gleichzeitig passieren sollten, da sie "untrennbar zusammengehören" würden. Das ist unserer Meinung nach ein besonders wichtiger Vorsatz. Allerdings fragen wir uns wie diese Vorhaben umgesetzt werden sollen. Wird das Klima nicht vernachlässigt, wenn man es so eng mit der sozialen Gerechtigkeit verwebt?
Wir haben uns an eine ziemlich kritische These gewagt: Auf der Welt wird es leider immer Menschen geben, die in armen Verhältnissen leben müssen. Wenn wir den Klimawandel nicht stoppen, würden sich deren Lebensumstände, wenn überhaupt nur noch verschlechtern. Sollte man deshalb nicht zunächst den Fokus auf den Klimawandel richten, bevor man sich der sozialen Gerechtigkeit so intensiv widmet?
In Ihrem Wahlprogramm von 2021 beinhaltete eines Ihrer Ziele zum einen die Investition in das Bahnnetz und zum anderen auch die Einführung eines kostenfreien öffentlichen Nahverkehrs, vorerst für Kinder und Senioren. Wie stellen Sie es sich vor beide Vorhaben gleichzeitig umzusetzen? Wäre es nicht besser auf kürzere Sicht erst einmal die Preise des Nahverkehrs für Kinder und Senioren lediglich zu senken. Somit könnte man die Einnahmen unter anderem für den Ausbau des Bahnnetzes nutzen.
Unserer Meinung nach ist Ihr Vorschlag eher ein Ziel ferner Zukunft, insofern Sie darauf setzen beides parallel umzusetzen. Wir würden den Fokus daher eher auf die Investition in das Schienennetz lenken.
Wir danken Ihnen für Ihre Bereitschaft sich unseren Fragen und Anregungen zu stellen und freuen uns auf Ihre Antwort."
Mit freundlichen Grüßen,
Meike Ziegler und Jeanne Mercier
(Klasse 12)