
- pz, Julius Roller, David Dubergé, Lia-Nicole Hornstein, Jiayuan Lu
Pforzheim. Es geht ihnen um die Umwelt, die Wirtschaft, die Verkehrspolitik, das Gesundheitssystem und Migration – wenige Wochen vor der Bundestagswahl haben sich Oberstufenschüler des Pforzheimer Hebel-Gymnasiums mit den Wahlprogrammen, Themen und Forderungen der prominentesten Parteien und ihren Direktkandidaten im Wahlkreis Pforzheim/Enz auseinandergesetzt. In Kooperation mit der „Pforzheimer Zeitung“haben Schüler aus dem Gemeinschaftskundeunterricht von Lehrerin Sina Feuchter, dem Geschichts- oder Deutschunterricht von Lehrer Sebastian Barth und dem Deutschunterricht von Lehrerin Christiane Neudorfer zum Jahresanfang klassenübergreifend Briefe mit Fragen und Sorgen an die lokalen Direktkandidaten zu Papier gebracht.
Die PZ veröffentlicht an dieser Stelle Ausschnitte der besagten Briefe. Die angesprochenen Wahlkämpfer – Katja Mast (SPD), Rainer Semet (FDP), Gunther Krichbaum (CDU), Helmut Kuntschner (Linke), Diana Zimmer (AfD) sowie die hiesigen Grünen – haben nun eine Woche lang die Gelegenheit, Antworten zu geben. Diese werden am Samstag, 1. Februar, ebenfalls in der PZ veröffentlicht. Ob sie damit zufrieden sind oder ob ihnen noch etwas auf dem Herzen brennt, bewerten die Schüler in einem persönlichen Fazit – nachlesbar am 8. Februar in der PZ.
Briefe an die SPD

"Sehr geehrte Frau Mast,
wir sind zwei Schüler vom Hebel-Gymnasium aus Pforzheim, die politisch interessiert sind. Zum Jahreswechsel hat unsere Schule ein Projekt in Kooperation mit der PZ ins Leben gerufen, bei dem Schülerinnen und Schüler Briefe mit Fragen an Parteien schicken können, um einen Austausch zwischen Generationen zu ermöglichen und junge Leute mit Politik zu verbinden. Deshalb möchten wir Ihnen einige Fragen zum Thema des Gesundheitssystems in Deutschland und die damit zusammenhängenden Probleme stellen.
Ein Mitschüler aus unserer Gruppe überlegt zum Beispiel, nach dem Abitur Medizin zu studieren. Jedoch sieht man bei den Universitäten, dass sowohl die Anforderungen wie z.B. der Numerus Clausus sehr hoch und die Studienplätze gering sind, und dies bei einem anhaltenden und sogar steigenden Ärztemangel. Es gibt in Deutschland nur etwa 10.000 Studienplätze für ein Medizinstudium bei einer um ein Vielfaches höheren Bewerberzahl. Deshalb stellt sich die Frage, wieso nicht dafür gesorgt wird, dass bei einem steigenden Ärztemangel mehr Studienplätze geschaffen werden? Dadurch könnten die Zugangsvoraussetzungen gesenkt werden, damit das Medizinstudium und damit verbundene Berufe erreichbarer und attraktiver gemacht werden. So könnte man auch verhindern, dass viele ins Ausland gehen, um dort Medizin zu studieren, da es dort oft niedrigere Vorsetzungen gibt.
Des Weiteren haben wir im Parteiprogramm der SPD gesehen, dass Ihre Partei die Trennung zwischen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen aufheben und diese durch eine Bürgerversicherung für alle ersetzen möchte. Damit wollen Sie in unserem Land ein Gesundheitssystem, in dem alle den gleichen Zugang zu gleicher Qualität haben und das keinen finanziell überfordert (vgl. S.24 Ihres Wahlprogramms). Als eine Partei, die für Gerechtigkeit steht, ist diese Idee sehr löblich und auch wir befürworten grundsätzlich diesen Ansatz. Jedoch haben wir gesehen, dass dieser Punkt schon sehr lange in Ihrem Wahlprogramm steht, sich aber bisher nicht viel in diese Richtung getan hat. Wieso sind keine Fortschritte in diese Richtung gemacht worden, obwohl es schon so lange zu den Zielen Ihrer Partei gehört?
Zudem halten wir die Auflösung der privaten Krankenkassen für eine gefährliche, schlecht durchdachte Idee. Dies könnte zu einer weiteren Verschlimmerung des Ärztemangels und des Gesundheitssystems führen. Wenn man die Verteilung der Beiträge im Gesundheitssystem sieht, so stellt man fest, dass rund 10% der Menschen privat versichert sind, diese aber 40% der Gelder zahlen. Daher stellt sich auch die Frage, wie man eine Auflösung der Privatkassen ermöglicht und gleichzeitig keine finanzielle Überforderung der gesetzlich Versicherten verursacht?
Besonders auf dem Land haben wir mit einem Mangel an Ärzten zu kämpfen, da ländliche Arztpraxen besonders für junge Ärzte unattraktiver als Arztpraxen in Städten sind. Vor allem die wenigen Ärzte auf dem Land, die stark von den Honoraren der privaten Krankenkassen abhängig sind, würden bei einem Wegfall dieser Honorare schwere Verluste erleiden und die Attraktivität der Tätigkeit des „Landarztes“ würde noch weiter sinken. Zum Abschluss möchten wir Sie deshalb noch fragen, wie Sie den Arztberuf insgesamt attraktiver machen möchten?
Wir warten gespannt auf Ihre Antwort."
Mit freundlichen Grüßen,
Julius Roller und David Dubergé
(Klasse 11)


Briefe nach Berlin: Pforzheimer Schüler fragen, Politiker sollen antworten
"Sehr geehrte Frau Mast,
In turbulenten Zeiten blicken wir als junge Menschen sowohl besorgt als auch erwartungsvoll in unsere Zukunft. Wir sind zwei politisch interessierte Lernende des Hebel-Gymnasiums aus Ihrem Wahlkreis Pforzheim-Enzkreis und wenden uns an Sie, da wir weiterhin unsere Interessen in der Politik nicht immer vertreten sehen. Kinder und Jugendliche werden politisch kaum repräsentiert und so fallen ihre Wünsche und Bedürfnisse oft unter den Tisch. Zu den Themen, die uns dabei auch aufgrund persönlicher Bezüge besonders unter den Nägeln brennen, haben wir dementsprechend einige Fragen an Sie, unter anderem bezüglich Ihrer Wahlversprechen für die derzeitige Legislaturperiode und Ihrem neuen Entwurf zum Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl am 23. Februar. Zu unseren Interessenfeldern gehören in diesem Brief die Bereiche Bildungs-, sowie Sozialpolitik.
Während der Legislatur der Ampel-Koalition wurden viele Maßnahmen für junge Menschen versprochen und im Koalitionsvertrag festgelegt, jedoch oft nicht wie geplant umgesetzt.
Eines der zentralen Pläne der Koalition, um Kinderarmut zu bekämpfen, war die Kindergrundsicherung. Das Konzept dieser Kindergrundsicherung hatte die SPD sowohl in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 vorgeschlagen (vgl. S.29) als auch im Koalitionsvertrag (vgl. S. 78) festgelegt. Letzten Endes ist aus diesem Vorhaben in dieser Form nichts geworden. Vor allem nach dem Ampel-Aus ist die Umsetzung dieser Maßnahme in weite Ferne gerückt. Stattdessen gab es eine leichte Erhöhung des Kindergeldes um 5 Euro. Dass es nun immer noch keine bürokratische Entlastung für armutsgefährdete Familien gibt, was das Hauptziel der Kindergrundsicherung war, ist frustrierend. Dabei wäre das besonders für solche Familien wichtig, die keine Kapazitäten haben, zahlreiche Anträge an verschiedene Behörden zu stellen, um soziale Leistungen zu bekommen, die ihnen ohnehin zustehen. Unabhängig davon ist aber auch fraglich, ob eine alleinige Entbürokratisierung aktiv Kinderarmut bekämpft. Bezogen auf die steigenden Preise bei beispielsweise Lebensmitteln wären höhere soziale Leistungen für benachteiligte Familien essenziell. Das Scheitern dieses Vorhabens stellt für uns eine Enttäuschung dar.
In Bezug auf diese Kindergrundsicherung, eines Ihrer größeren angestrebten Projekte dieser Legislaturperiode, möchten wir Ihnen darüber hinaus ein paar Fragen stellen, da sich diese Wunschmaßnahme erneut in Ihrem Entwurf zum Wahlprogramm befindet. Wir stellen uns nun hierbei vor allem die Frage, auch in Bezug auf die erwähnten Kritikpunkte über die gescheiterte Umsetzung der Kindergrundsicherung, welche Schlüsse Sie ziehen wollen. Darüber hinaus, welche Relevanz sie infolgedessen für diese Maßnahme sehen, und wie viel Arbeit Sie demnach in dieses Projekt zukünftig investieren wollen. Diesbezüglich bleibt für uns ebenfalls offen, ob Sie bereits konkretere Pläne zu einer effektiveren Umsetzung haben, falls Sie wieder eine Regierungspartei sein sollten.
Ein anderes angestrebtes Vorhaben der Ampel-Koalition war ein “grundlegend reformierte[s] BAföG” (vgl. S. 74 Koalitionsvertrag). Davon ist wenig zu spüren. Konkret umgesetzt wurden unter anderem eine Studienstarthilfe von 1000€ für Studierende mit Sozialleistungsbezug, eine Erhöhung des Förderungshöchstbetrages und die Einführung eines sogenannten Flexibilitätssemesters. Die Reform der Ampel-Koalition ist aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt, um mehr Bildungschancengleichheit herzustellen, aber stellt keine grundlegende Veränderung des bisherigen Systems dar. Die bürokratischen Hürden sind immer noch zu hoch, und der Förderungssatz reicht oft für bedürftige Studierende nicht aus, um sich ihr Leben und ihre Bildung zu finanzieren. Studierende sind entweder auf ausreichende Unterstützung ihrer Eltern oder auf parallele Berufstätigkeit angewiesen. Da wir als diesjährige Abiturienten selbst bald auf BAföG angewiesen sein könnten, frustriert uns, wie wenig sich die Politik um Studierende und Auszubildende kümmert.
Weiterführend möchten wir auch zu diesem Feld der Bildungspolitik Ihrer Partei ein paar Fragen stellen, eben weil das BAföG ebenso im Entwurf der SPD zum Wahlprogramm zu finden ist. Unser Interesse an diesen Fragen beruht darauf, dass wir bald zur Zielgruppe gehören könnten, andererseits aber auch darauf, dass laut statistischem Bundesamt gut ein Drittel der Studierenden in Deutschland armutsgefährdet ist. Sie erwähnen in Ihrem Entwurf, dass Sie deshalb das BAföG an die Lebenshaltungskosten anpassen wollen. Uns interessiert jedoch auch, inwiefern Sie für ein Minimum sorgen wollen, welches nicht unterschritten werden darf, um eine generelle Armutsgefährdung der Studierenden zu verhindern und ob es nicht sinnvoller wäre, dieses Minimum an die Inflation und andere Indikatoren anzupassen.
Was uns darüber hinaus interessiert, ist die von Ihnen geplante Digitalisierung des BAföG, die Sie zusätzlich mit einer Vereinfachung in Einklang setzen wollen. Wir fragen uns dabei besonders, was genau mit einer Vereinfachung gemeint ist. Denn uns ist aufgefallen, dass insbesondere in der Beantragung dieser Fördermaßnahme unnötige Hürden vorhanden sind. Hürden, zu denen z.B. der Nachweis eines möglichen Einkommens jüngerer, noch schulpflichtiger Geschwister dazugehört. Kurz gesagt, interessiert es uns, ob Sie bereits konkretere Ideen zu einem generellen Bürokratieabbau haben.
Mit diesen Sätzen endet unser Brief an Sie. Wir beide hoffen sehr, dass Sie uns zielführende Antworten geben werden, um unseren Sorgen als junge Menschen in diesen doch ziemlich polaren Zeiten entgegenzukommen. Für Ihre Antwort bedanken wir uns im Voraus."
Mit freundlichen Grüßen,
Lia-Nicole Hornstein und Jiayuan Lu
(Klasse 12)