Pforzheim. Etwas aufgeregt, laut quatschend und lachend kommen die fünf Mädchen und Jungen der Anna-Bertha-Königsegg-Schule mit ihrem Transporter im Walter-Geiger-Haus an. Am Steuer sitzt Stella Zeh, Erzieherin und Leiterin der Sitztanzgruppe. Jeden Dienstag besuchen die Kinder die Senioren. Der Ausflug ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung – und jedes Mal eine besonders schöne.
Der Projektbeirat von „Menschen in Not“ war vom Antrag begeistert: 7400 Euro stehen für weitere zwölf Monate Tanzprojekte an der Anna-Bertha-Königsegg-Schule, eine Schule für Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen, bereit.

„Mich erfüllt diese Aktion mit so großer Freude – und ganz ehrlich, oft rührt es mich zu Tränen“, sagt Zeh. Damit ist sie nicht allein. Auch die Berichterstatterin berührt, was in dieser halben Stunde im Konferenzraum des Walter-Geiger-Hauses, ein Haus der Caritas für betreutes Wohnen und Tagespflege, geschieht. „Man spürt die besondere Harmonie in der Gruppe“, erzählt Zeh. Wenn sich alle gegenseitig anschauen und erwartungsvoll auf die Kursleiterin blicken, sei klar: „In dieser Zeit vergessen alle ihre Krankheiten, ihre Traurigkeit und die kleinen Wehwehchen – Kinder wie Senioren.“ Es entstehe ein einzigartiges Miteinander. „Dass jeder regelmäßig Medikamente braucht, gerät völlig in den Hintergrund. Alles ist wie weggeblasen“, so Zeh: „Alle sind voller Freude.“


Dann beginnt die magische Reise – eine Reise in Unbeschwertheit und in Erinnerungen. Die teilnehmenden Senioren aus dem Walter-Geiger-Haus sind glücklich. „Es sind betagte Menschen, die hier stationär leben, und solche, die zur Tagespflege kommen“, erklärt Einrichtungsleiter Jan Westermann. Sie sitzen im Stuhlkreis. Die Schülerinnen und ihre Betreuerinnen nehmen dazwischen Platz. Stella Zeh setzt sich so, dass alle sie sehen können – und los geht’s. „Aufrecht sitzen, wir stampfen die Füße auf den Boden“, ruft sie. „Heut ist so ein schöner Tag“ erklingt aus der Box. Alle machen mit. Das Stampfen und Klatschen erfüllt den Raum, und bei „YMCA“ sitzen die Bewegungsabläufe noch immer wie früher – als wäre es gestern gewesen, dass der Hit die Tanzflächen füllte. „Das war spitze!“, ruft Zeh begeistert.

Nach einer kurzen Verschnaufpause geben bei „Rote Lippen soll man küssen“ und Charleston-Bewegungen wieder alle ihr Bestes. „Macarena“ fordert besonders die Arme, „Tulpen aus Amsterdam“ schließlich Körper und Seele. Für dieses Lied hat Zeh jedem eine Deko-Tulpe verteilt. Was kitschig klingt, ist einfach wunderschön: Ein Senior steht auf und tanzt sicher im Rhythmus – vermutlich zum ersten Mal seit vielen Jahren. Die Seniorinnen und Senioren singen mit, winken sich mit den Tulpen zu. „Gerade Menschen mit Demenz erreicht das auf einer Ebene, an die man im Alltag kaum herankommt“, sagt Westermann. „So etwas kann man nicht erzwingen – es passiert einfach.“ Musik sei der Schlüssel zu Emotionen und Erinnerungen.

In dieser besonderen Atmosphäre kullern die ersten Tränen auch bei der Journalistin. Nachdem die Tulpen eingesammelt sind, verteilt Zeh kleine Discokugeln. Das Licht wird gedimmt, und sie schlüpft in einen Umhang mit Leuchtelementen. Elfengleich schwebt Zeh durch den Raum, während „Una mattina“ von Ludovico Einaudi erklingt. Erst tanzt sie allein, dann alle gemeinsam zur ruhigen Meditationsmusik. „Es ist unglaublich“, sagt Westermann bewegt. Selbst jene, die angekündigt hatten, nicht aufstehen zu können, machen nun mit.

Zum Finale kommt das bunte Schwungtuch zum Einsatz. Alle halten sich daran fest. Aus dem Stuhlkreis formt sich ein kleiner Kreis ums Tuch. Jeder genießt die letzten Minuten dieses wunderbaren Projekts.
Nächste Woche geht es weiter – und dank „Menschen in Not“ auch im kommenden Jahr: einmal pro Woche im Walter-Geiger-Haus und einmal im Erich-Bähner-Haus.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung.



