
- dpa/lsw/pz/pm
Stuttgart/Pforzheim. Eigentlich sollten bereit ab diesem Freitag ganztägige Ausgangssperren im Stadtkreis Pforzheim gelten. Ein entsprechender Erlass wurde vom Landessozialministerium am späten Donnerstagnachmittag veröffentlicht. Doch diese werden - anders als zunächst angekündigt - nun doch nicht direkt umgesetzt, wie die Stadt und Enzkreis in einer gemeinsamen Mitteilung am Donnerstagabend erklärten.
Wann und wie sie umgesetzt werden, ist also zunächst noch unklar. Neu ist beim Erlass des Sozialministeriums im Wesentlichen, dass im Vergleich zu vorher nun auch Ausgangsbeschränkungen zwischen 5 bis 20 Uhr im Stadtkreis gelten. Ausnahmen sind nur aus triftigen Gründen möglich.


Trotz hoher Inzidenzwerte: Pforzheim und Enzkreis wollen schärfere Regeln zunächst nicht umsetzen
Diese sind neben dem Weg zur Arbeit oder zum Beispiel einem Arztbesuch, tagsüber insbesondere der Besuch von Einzelhandelsbetrieben und Märkten sowie Sport und Bewegung an der frischen Luft ausschließlich alleine, mit einer weiteren nicht im selben Haushalt lebenden Person oder mit Angehörigen des eigenen Haushalts. Von 20 bis 5 Uhr gelten noch strengere Vorschriften beim Verlassen der eigenen Wohnung.
Boch hält Maßnahmen für nicht sinnvoll
Angesichts von aktuell 340 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen hält Oberbürgermeister Peter Boch die jetzt erlassenen Maßnahmen für Nebelkerzen.
„Ausgangsbeschränkungen zwischen 5 und 20 Uhr, während gleichzeitig der Einzelhandel geöffnet bleibt, werden keinen Effekt haben. In der Praxis wird die Maßnahme für die Menschen wenig ändern und schwer kontrollierbar sein, weil im Zweifelsfall jeder sagen kann, dass er zum Einkaufen unterwegs ist“, so der OB.
„Aber das Land hat uns das jetzt aufgetragen, deswegen müssen wir diese Regelung umsetzen, behalten aber unsere eigenen schärferen Maßnahmen, wie die uneingeschränkte Maskenpflicht in bestimmten Fußgängerbereichen oder das Verbot von Alkoholausschank, bei.“ Würde das, was das Land jetzt erlassen hat, eins zu eins umgesetzt „dann hätten wir in Wahrheit weniger und nicht mehr.“
Boch will harten Lockdown
Aus all diesen Gründen wiederholt und präzisiert Peter Boch seine Forderung nach einem harten Lock-Down, was die Schließung von Einzelhandelsbetrieben einschließen sollte. „Ich persönlich schlage sogar vor, dass wir am 20. Dezember damit beginnen sollten“, so der Rathauschef. „Wir werden aber nicht darum herumkommen. Allerdings muss der von mir geforderte Lockdown auf jeden Fall landesweit erfolgen, wenn er etwas bringen soll. Denn alles, was wir in Pforzheim tun, wird sich natürlich unmittelbar auf die Region auswirken“ analysiert Boch weiter. Sollte sich nächste Woche nichts tun, werde die Stadt notfalls im Alleingang handeln.
Schwere Entscheidungen
Und er fügt mit an: „Es sind schwierige Entscheidungen, die die Stadt, die der Verwaltungsstab und die ich als Oberbürgermeister täglich treffen müssen.“ Diese Verantwortung werde wahrgenommen, auch wenn er wisse: „Manchen Bürgern reichen diese Entscheidungen nicht aus, manchen gehen sie viel zu weit.“ Für ihn stehe jedoch der Schutz der Bevölkerung immer an erster Stelle.
Alle müssen mitziehen
Gleichzeitig wiederholt er seine zentrale Botschaft, dass auch die ganz aktuell beschlossenen Maßnahmen nur wirken können, wenn alle mitziehen. Es komme auf jede und jeden Einzelnen an. „Denn jeder von uns kann dazu beitragen, die Infektionszahlen zu senken.“ Er appelliert über die Allgemeinverfügung hinaus an die Bürgerinnen und Bürger, sämtliche Kontakte zu unterlassen, die nicht unbedingt notwendig sind. „Ja das sollte auch für Weihnachten gelten, auch wenn das natürlich schwer ist.“ Wenn diese gemeinsame Kraftanstrengung gelinge, dann würden auch die Infektionszahlen wieder sinken. Davon sei er überzeugt. Er möchte alldenjenigen danken, die sich schon sehr vorbildhaft an alle Regeln halten. „Das ist der überwiegende Teil der Bevölkerung. Dennoch gibt es immer noch zu viele, die das noch nicht tun.“ Oberstes Ziel sei es, die Kliniken, die schon jetzt extrem belastet sind, zu entlasten.
Die neuen Regeln auf einen Blick:
Das Verlassen der eigenen Wohnung in der Zeit von 20 bis 5 Uhr ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Diese sind:
- die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, einschließlich der Teilnahme Ehrenamtlicher an Einsätzen von Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungsdienst,
- die Inanspruchnahme medizinischer, therapeutischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen,
- die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen,
- die Begleitung Sterbender und von Personen in akut lebensbedrohlichen Zuständen und
- Handlungen zur Versorgung von Tieren
Von 5 bis 20 Uhr ist der Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung ebenfalls nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Zu den oben genannten kommen tagsüber folgende triftige Gründe hinzu:
- der Besuch von Einzelhandelsbetrieben und Märkten im Sinne der §§ 66 bis 68 GewO
- die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich,
- Sport und Bewegung an der frischen Luft ausschließlich alleine, mit einer
- weiteren nicht im selben Haushalt lebenden Person oder mit Angehörigen des eigenen Haushalts und
- Besuch von erlaubten Veranstaltungen, dazu zählen etwa Gottesdienste und Beerdigungen
Trotz der Inzidenz jenseits der 300 bleibt laut Erlass das Treffen mit Personen eines zweite Haushalts erlaubt (bis maximal fünf Personen insgesamt, Kinder unter 14 Jahren ausgenommen). Für dieses Treffen darf die Wohnung zwischen 5 und 20 Uhr verlassen werden.
Das bedeutet konkret: In der Öffentlichkeit dürfen sich die Pforzheimer nur noch mit einer Person eines weiteren Haushalts treffen, zuhause aber gilt weiterhin die Grenze von fünf Personen aus maximal zwei Haushalten. Um zu einem anderen Haushalt zu laufen oder zu fahren, darf das Haus also verlassen werden.
"Kein Mensch blickt mehr durch, wenn jeden Tag neue Ankündigungen kommen, die dann doch nicht – oder anders – und oft Tage später umgesetzt werden."
Hans-Ulrich Rülke, FDP
Die Pforzheimer SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast sagt zu den Ausgangssperren: "Das ist hart, aber richtig. Die Krankenhäuser in Pforzheim sind am Maximum angelangt - keine freien Betten mehr im Helios. Das bedeutet eine extrem hohe Dauerbelastung des Fachpersonals. Hoffentlich gelingt es so, das Infektionsgeschehen in Pforzheim in den Griff zu bekommen." Mast kritisiert Grün-Schwarz deutlich: "Die Landesregierung war viel zu lange viel zu zögerlich."
Fernunterricht ab Klasse 8 in Hotspot-Regionen mit 300 Neuinfektionen
Eine weitere einschneidende Maßnahme betrifft die Schulen in Baden-Württemberg: Spätestens vom kommenden Montag an sollen in Regionen mit mehr als 300 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen alle allgemein bildenden und beruflichen Schulen ab Klassenstufe 8 vollständig in den Fernunterricht übergehen, teilte das Kultusministerium am Donnerstag in Stuttgart mit. Ausgenommen seien lediglich Abschlussklassen.
Das Ministerium erläuterte, in der Zeit des Fernunterrichts müssten in den betroffenen Klassenstufen bereits geplante Klassenarbeiten abgesagt werden. Wenn diese für die Note der Schülerinnen und Schüler «zwingend erforderlich» sei, müssten die Arbeiten nachgeholt werden, sobald wieder Präsenzunterricht möglich ist.


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Ex-Kultusminister Andreas Stoch (SPD) warf seiner Nachfolgerin Susanne Eisenmann (CDU) vor, die Situation komplett unterschätzt zu haben. «Hätte die Ministerin, wie vor Wochen von der SPD gefordert, den Unterricht für ältere Schülerinnen und Schüler auf Wechselunterricht umgestellt, müsste sie nun nicht ganze Klassen nach Hause schicken.» Der CDU-Spitzenkandidatin sei die Profilierung wichtiger gewesen als ihr Krisenmanagement, kritisierte der SPD-Partei-und Fraktionschef.
Bisher galt die Regelung, dass Schulen in Kreisen mit einem Inzidenzwert von mehr als 200 in Absprache mit dem Gesundheitsamt und der Schulverwaltung Wechselunterricht ab Klasse 8 anbieten können. Zudem soll es an den letzten beiden Schultagen vor Weihnachten, am 21. und 22. Dezember, Fernunterricht geben.


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