Jüdisches Mahnmal Güterbahnhof
Ein QR-Code verweist künftig auf weiterführende Informationen und Biografien. Mit neuen Gehwegplatten, Bäumen und einer Bank wird der Ort – bislang bei Google Maps als „Gedenkpark“ bezeichnet – heute seinem Namen („Platz des 22. Oktober 1940“) besser gerecht.
Meyer
Pforzheim
Neues Holocaust-Mahnmal in Pforzheim: Antisemitische Kommentare zeigen, wie nötig dieser Ort ist

Pforzheim. Am Güterbahnhof entsteht ein neues Shoa-Denkmal. Noch vor der Enthüllung häufen sich im Netz antisemitische Kommentare – und zeigen, warum dieser Ort so nötig ist.

Eine Betrachtung von PZ-Redakteur Leon Malik Koß

Der Beton soll einiges aushalten – an Farbe, an Schlägen, an Hass. Er soll stabil sein und leicht zu reinigen, hieß es bereits im Mai, als in der Jüdischen Gemeinde der Entwurf für ein neues Mahnmal am Güterbahnhof in der Nordstadt vorgestellt wurde. An dem Ort, von dem aus bis 1945 die Juden aus der Region deportiert wurden. Und dann, zwei Wochen vor der Enthüllung des neuen Holocaust-Mahnmals, schreiben die Ersten ihre perversen Gedanken ins Internet. Mit Smileys, stumpf, dumm, rassistisch. Dutzendfach. Hunderte Male geliked.

Dass Pforzheim – eine Stadt, in der nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu keine Juden mehr lebten – einen angemesseneren Ort der Erinnerung braucht als den unscheinbaren Prellbock, hatte Rami Suliman, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, angeregt. Der neue massive Betonklotz erinnert ein wenig an das weltberühmte Holocaust-Mahnmal im Zentrum Berlins – wo Linke, Aktivisten, Studenten ausgerechnet am Dienstag, als sich das grausame Massaker der Hamas zum zweiten Mal jährte, Straßen blockierten, um das Gedenken zu stören.

Die sechs Meter hohe und 1,50 Meter breite Stele besteht aus dunkelgrauem, feinkörnigem Sichtbeton. Auf einer eingelassenen hellen Metallplatte werden die Namen aller Deportierten eingraviert. Da mit Vandalismus gerechnet wird, wählten die Initiatoren ein leicht zu reinigendes Material.
Peter W. Schmidt/Architekten

In Pforzheim kursierte derweil am Montag, nur für ein paar Stunden, ein Beitrag zum neuen Mahnmal auf dem Instagram-Profil „pforzheim_city“ – eine Art Nachrichtenkanal, der schöne Aufnahmen von der Stadt oder KI-generierte Videos von einem Bauarbeiter teilt, der die A8 sperrt und in den Urlaub geht. Dazu immer wieder Pro-Palästina-Posts. Der Kanal bezeichnet sich selbst als unpolitisch und unzensiert.

Dieser neueste Beitrag also war eine Aufnahme des nun fast fertigen Mahnmals am Güterbahnhof. Seit Montag nun steht der Betonblock mit eingraviertem Davidstern. Ein Nutzer namens Fatih schrieb dazu eine Art Gastbeitrag: Das Mahnmal würde das Leiden der Palästinenser und politische Gewalt indirekt legitimieren. Es sei Provokation, ein falsches Signal – ja, und überhaupt, was sich der Bürgermeister dabei denke?

Ein „David“ kommentiert: „Neuer Anpissblock gefunden“ – und fand sich dabei witzig.

Ein „Ahmet“ schrieb: „Jetzt wissen die Kids, wo sie was steinigen können…“

Eine „Ebru“ erklärte angesichts des Pforzheimer Mahnmals Deutschland kurzerhand zu einem „jüdischen Land“.

Und der Betreiber von „pforzheim_city“ behauptet, 140.000 Euro Steuergelder seien in das Mahnmal geflossen - in Wahrheit kommen 175.000 aus Spenden und 20.000 Euro von der Stadt, mit großer Mehrheit im Gemeinderat beschlossen, bei Enthaltung der AfD-Abspaltung „Bürgerliche Allianz“.

Es ist alles so schrecklich dumm.

Das Mahnmal erinnert an Menschen, die Deutsche verschleppt und ermordet haben – lange bevor es Israel überhaupt gab.

Muss man das wirklich erklären? Ja. Leider.

Über 6000 Jüdinnen und Juden aus Baden, der Pfalz, dem Saarland wurden nach Gurs deportiert. Über 180 Pforzheimer Juden über den Güterbahnhof in der Nordstadt. Dort in Gurs: Hunger. Krankheit. Tod. Über 1000 kamen nicht zurück. Und als das Morden 1942 systematisch wurde – Auschwitz, Majdanek, Sobibor, Treblinka –, da war Israel nur ein Gedanke auf der Landkarte.

Der Impuls für ein neues Denkmal am Güterbahnhof kam nicht aus dem Nichts. Der Gedanke entstand laut Rami Suliman im Januar 2024 – mitten in der sogenannten Remigrationsdebatte. Ausgelöst durch eine Correctiv-Recherche, die zeigte, wie sich AfD-Funktionäre, Rechtsextreme und wohlhabende Unterstützer in einer Potsdamer Villa trafen, um das Undenkbare zu planen: die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland.

Gemeint waren vor allem die Muslime. Eine bittere Ironie: Gerade Menschen mit Migrationshintergrund, besonders aus islamisch geprägten Ländern, schließen sich – sichtbar auch in den Kommentarspalten unter Posts wie „pforzheim_city“ – ausgerechnet jenen an, die sie hier im Land gar nicht haben wollen.

Das ist keine politische Haltung mehr, sondern die Absurdität des Hasses. Und ein verseuchter Schulterschluss. 

Die Frage, wann Kritik an Israel antisemitisch ist, köchelt auch unter Deutschlands Linken seit Jahren. Spätestens seit dem 7. Oktober kocht sie über. An diesem Tag schlachtete die Hamas israelische Zivilisten ab. Was folgte, war ein Bombenkrieg – ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das Zehntausende Palästinenser tötete. Die Hamas existiert weiter. 

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Ministerpräsident Netanjahu und seinen Verteidigungsminister erlassen. Wegen Kriegsverbrechen. Immer mehr Experten sprechen von Genozid. Ein Urteil der UN steht noch aus. In Ruanda hat es sieben Monate bis Kriegsende gedauert.

Und Netanjahu? Er versucht jede Kritik unter dem Wort Antisemitismus zu ersticken. Er missbraucht den Begriff, der das beschreibt, was wieder wächst – auch hier, vor unserer Haustür: Juden fühlen sich unsicher in Deutschland. Weil sie Juden sind. Wegen Rechtsextremen, Migranten und den Links-Woken. Einen Menschen wegen seiner Religion oder Herkunft automatisch zu dem Täter zu machen, der in Gaza Kinder verhungern lässt, ist falsch. Wer das nicht versteht, ist ein Rassist. So einfach. 

Dass Deutschland – dass Pforzheim – an die eigenen Verbrechen erinnert, ist kein Statement zum Krieg in Gaza. Es ist kein Bekenntnis zu Israels Armee. Es ist ein Bekenntnis zur Verantwortung. Zur eigenen Geschichte. Das ist richtig so. 

Man hört diese Stimmen immer öfter. Sie schreien „Genozid“ in Gaza – und leugnen den Völkermord an den Armeniern. Sie wissen nicht, was im Sudan passiert. Sie schweigen zu den Jesiden, den Rohingya, den Uiguren. Empörung nach Laune. Erinnerung? Nur, wenn’s ins Weltbild passt.

Doch etwas unscheinbar: Das alte Denkmal wurde 2024 Ziel eines Farbanschlags.
Meyer

Umfragen zeigen, dass Israel weltweit an Rückhalt verliert – auch im Westen. In Deutschland sind fast zwei Drittel der Befragten überzeugt, Israel begehe in Gaza einen Genozid. Gleichzeitig steigt der Antisemitismus in Europa wieder deutlich, bis hin zu Angriffen auf Synagogen. Das ist doppelt gefährlich: moralisch, weil es Schuld verkehrt; politisch, weil es die Erinnerungskultur aushöhlt.

Der Lehrer Martin Rühl vom Hilda-Gymnasium in Pforzheim ist in diesen Zeiten mehr denn je ein Held. Er lässt seine Schüler im Projekt „Spurensuche“ Biografien ermordeter Juden erforschen.

Bei einer Stolpersteinverlegung am Ebersteinplatz erzählen sie, wie die damals 14-jährige Herta Dreifuss 1938 dabei zusah, wie Pforzheimer die Synagoge zerstörten. Sie konnte mit ihrer Familie rechtzeitig in die USA flüchten. Auf Rühls Arbeit können wir in Deutschland stolz sein – das Ringen um Erinnerung, Menschlichkeit, Empathie.

Werte, die wir verteidigen müssen – gegen unsere eigene, manchmal zu dogmatische Staatsräson, gegenüber falscher Faulheit und Arroganz vor der eigenen angeblichen Moral und gegen all diese Menschen, denen es gar nicht mehr um Frieden geht. Heute, 80 Jahre nach dem Holocaust.

Transparenzhinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde der Anschein erweckt, über 6000 Juden seien vom Pforzheimer Güterbahnhof deportiert worden. Das ist nicht zutreffend. Die Zahl bezieht sich auf Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland, die aus verschiedenen Städten nach Frankreich (Gurs) deportiert wurden. Richtig ist, dass am 22. Oktober 1940, dem Beginn der Deportationen aus Pforzheim, über 180 Menschen aus Pforzheim verschleppt wurden, 20 weitere von anderen Orten aus. Die missverständliche Formulierung haben wir korrigiert und bitten diese Ungenauigkeit zu entschuldigen.

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