
Pforzheim. Bevor ich ein eigenes Auto hatte, fuhr ich Fahrrad. Zum Einkaufen, zur Arbeit, zu Freunden. Auf Pforzheims Straßen war ich meistens allein. Andere Radfahrer? So selten wie ein Dönerladen im Rodgebiet.
Eine Fahrt über die Nordstadtbrücke, die Luisenstraße oder den Schlossberg hinauf bedeutete: hupende Autos im Nacken, drängelnde SUVs, null Radwege. Ich bekam Schuldgefühle. Als würde ich nicht einfach nur irgendwohin wollen, sondern aus reiner Bosheit den Verkehr sabotieren. Eine stille Kriegserklärung auf zwei Rädern - eine Provokation.


Pforzheim ist laut Umfrage die schlechteste Großstadt für Radfahrer im Südwesten
Dass Pforzheim beim ADFC-Fahrradklimatest wieder den letzten Platz unter den Großstädten Baden-Württembergs belegt, beruhigt mich.
Denn heute sitze ich hinterm Lenkrad. Umhüllt von Blech. Meine Beine dünner als früher, meine Lunge schwächer, mein Selbstbewusstsein enorm. 1,8 Tonnen schwer, 7 Liter Super innerorts.

Und jedes Mal, wenn ich doch noch einen dieser Radfahrer sehe, denke ich: Warum tust du dir das an? Manchmal hupe ich dann aber trotzdem. Sie sind dann doch einfach lästig.
Dann blättere ich in den Flyern der Fahrrad-Missionare. Da schreiben sie von „motorisierter Gewalt“.
Ich lächle müde. In Pforzheim gilt doch das Recht des Stärkeren. Wie in der Serengeti - nur dass hier keine Löwen um die Vorherrschaft kämpfen, sondern Leasing-SUVs.

Gestern, Ecke Theater/Zehnthofstraße: Eine Radfahrerin wird fast von einer einbiegenden Autofahrerin überrollt.
Ein Passant mit Kippe im Mund spricht die Frau im Auto an.
„Sie haben fast einen Menschen getötet!"
Sie? Interessiert das Drama nicht. Schulterzucken.
Die Radfahrerin? Radelt stoisch weiter. Und erklärt, das sei doch normal.
Ich? Kann die Autofahrerin natürlich verstehen.
Der nervöse Schulterblick, den man sich in Städten wie Karlsruhe angewöhnen muss, weil dort Radfahrer nicht nur zahlreich sind, sondern auch auf ihre Vorfahrt bestehen - in Pforzheim? Überflüssig!

Hier brettere ich mit 50 über die Calwer Straße. Nachts röhren dort die Motoren. Zwei Räder und Pedale haben hier keine Rechte!
Im weniger dicht bewohnten Rodgebiet muss ich dann mit gemütlichen 30 durchs Niemandsland tuckern. Leider habe ich dort kein Haus geerbt. Unfair? Naturgesetz. Zynisch? Ein bisschen. Aber von mir - oder den Entscheidern im Gemeinderat?
Bei all der Ironie - zur Wahrheit gehört natürlich auch: Pforzheim ist eine Autostadt. Und wegen ihrer Lage, den vielen Hängen und der Art, wie hier gearbeitet und gelebt wird, wird sie das auch bleiben.
Wahr ist aber ebenso: Die Situation auf unseren Straßen ist stressig, chaotisch und oft gefährlich. Für Autofahrer und Radfahrer.
Pforzheim hätte, bei aller Topografie, sogar gute Voraussetzungen für besseren Radverkehr: zwei Flüsse, kurze Wege, ein überschaubares Stadtgebiet, den Schwarzwald vor der Tür.
Niemand verlangt, dass wir Kopenhagen werden. Aber dass man sich auf einem Fahrrad nicht mehr wie eine Ameise in einer Büffelherde fühlen muss - das sollte auch hier möglich sein.
Ich liebe mein Auto. In Pforzheim ist das weniger Statement als Notwehr.

