Swales kommt aus Südafrika, hat eine Banklehre begonnen, doch wurde lieber Soldat.
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Pforzheim
Wer war der Südafrikaner, der Pforzheim zerstörte und dafür mit seinem Leben bezahlte?

Pforzheim. Ted Swales wurde in Südafrika geboren, war ein talentierter Kapitän der Royal Air Force und leitete die Zerstörung Pforzheims, die er nicht überlebte. Weil er sich für seine Kameraden opferte, wurde er als Held gefeiert. Nun jährt sich sein Todestag zum 80 Mal – gemeinsam mit dem über 17 000 Pforzheimern. Wer war der Mann – ein Held oder Kriegsverbrecher?

Kurz vor Pforzheim greift eine deutsche Messerschmitt an. Feuerstöße der Maschinenkanone treffen Ted Swales‘ britischen Bomber. Der südafrikanische Pilot mit den Segelohren, dem Schnurrbart und dem lässigen Grinsen behält einen kühlen Kopf und hängt die deutsche Maschine ab.

Einer von vier Motoren, die Treibstofftanks und das Heck des Bombers sind beschädigt, doch das mächtige Flugzeug bleibt stabil. Swales versichert sich, dass seine siebenköpfige Mannschaft unverletzt ist, und hält Kurs auf Pforzheim.

So berichteten britische Medien über den Einsatz „Code Yellowfin“ – eines der verheerendsten Bombardements auf eine deutsche Stadt. In Großbritannien galt es als einer der konzentriertesten und erfolgreichsten Angriffe des Krieges.

Swales (oben) mit seiner Crew vor einem Bomber.
Archiv Ursula Mössner

Ohne die Kaltschnäuzigkeit des „Masterbomber“ Swales wäre der Einsatz wohl nicht möglich gewesen. Wie schon am 23. Dezember 1944 bei einem Angriff auf Köln leitet er die Attacke über Pforzheim am 23. Februar.

Swales ist beim Bombardement erst 29 Jahre alt. Er soll über dem Zielgebiet kreisen und mit Leuchtkörpern markieren, was gleich nicht mehr existieren soll – eine ganze Stadt. Über 17 000 Menschen sterben. Jeder Dritte in Pforzheim. Gemessen an der Größe war die Zerstörung verheerender als in Hamburg, Dresden oder Hiroshima.

Tödliche Gelassenheit

Eine Fliegerbombe rast nicht senkrecht auf die Erde zu. Sie trudelt parabelförmig nach unten, Winde treiben sie ab, und der Pilot, der sie abgeworfen hat, ist meist schon Kilometer entfernt, wenn die Explosionen die Stadt zerreißen. Swales nicht. Er muss erahnen, was sich zwei Kilometer unter ihm abspielt, während er über Funk das Geschwader anleitet.

Er bleibt von 19.52 Uhr bis zur letzten Bombe um 20.10 Uhr über der Stadt.

Die zerstörte Nordstadtbrücke nach dem Krieg.
stadtarchiv

Drei Tage zuvor erhielt er für seinen letzten großen Einsatz, das Bombardement von Köln, das „Distinguished Flying Cross“. In der „London Gazette“ vom 20. Februar 1945 wird Swales ausführlich gewürdigt:

„Dieser Offizier war Pilot und Kapitän eines Flugzeugs, das im Dezember 1944 Köln angreifen sollte. Beim Anflug auf das Ziel geriet er in heftiges Flakfeuer. Trotzdem gelang ein guter Bombenangriff. Bald darauf wurde das Flugzeug von fünf feindlichen Flugzeugen angegriffen. In den darauf folgenden Kämpfen manövrierte Kapitän Swales mit großem Geschick. Infolgedessen konnten seine Kanonenschützen die Angreifer effektiv unter Beschuss nehmen, von denen einer vermutlich abgeschossen wurde. Während dieser temperamentvollen Aktion bewies Kapitän Swales außergewöhnliche Gelassenheit und Kapitänsqualitäten ...“

Zurück zum 23. Februar: Über Pforzheim holt die Messerschmitt Swales ein und beschießt ihn erneut. Ein weiterer Motor wird beschädigt. Wieder entscheidet er sich gegen einen Abbruch. Diese Entscheidung kostet ihm sein Leben.

Ein notwendiges Übel. Wirklich?

Im Februar 1945 hat Nazi-Deutschland den Krieg klar verloren, doch er ist noch nicht vorbei.

Von Osten und Westen stoßen alliierte Truppen vor. Hitlers Hauptquartier, die Wolfsschanze, wird von den Nazis gesprengt, die deutsche Bevölkerung flieht aus Ostpreußen, und die Amerikaner kämpfen sich durch Frankreich Richtung Rhein. Trotzdem regnen weiterhin deutsche Raketen auf England.

„Wunderwaffe“, „Endsieg“, „totaler Krieg“, „Volkssturm“. Durchhalteparolen und Propaganda – Deutschland will nicht kapitulieren. Also fallen Bomben auf deutsche Städte. Nicht auf Armeen, sondern auf die, die noch übrig sind – Frauen, Alte, Kinder. Aber auch die Industrie. Im Fall Pforzheims Feinmechanikfirmen, die Zünder für Bomben herstellen.

Ausgebomt. Viele die den anschließenden Feuersturm überlebten verließen die Stadt. Die Amerikaner berichteten nach dem Einmarsch von einem Geisterort.
efte

„Absolut gegen das Völkerrecht“

Der Historiker und Journalist Dietmar Pieper beschreibt im „Spiegel“ die Hintergründe der Flächenbombardements in Deutschland.

So erklärte der britische Premierminister Neville Chamberlain (vor dem Krieg) 1938: Bombenangriffe, die die Widerstandskraft der Bevölkerung brechen sollten, seien „absolut gegen das Völkerrecht“. US-Präsident Roosevelt bekräftigte dies mit seinem „dringenden Appell“, keine Luftangriffe auf Zivilisten oder unbefestigte Städte zu fliegen. London und Paris stimmten zu.

Dann kam Winston Churchill. Die „Samthandschuhe“ müssten aus, befinden britische Militärs. Allen voran Arthur Harris, Chef des „British Bomber Command“. Er erarbeitete sich im Laufe des Krieges den Namen „Bomber-Harris“.

42 000 britische Zivilisten sterben bis 1945 durch deutsche Luftangriffe, und Harris machte seine Haltung früh klar: „Die Nazis starteten den Krieg mit der ziemlich kindischen Vorstellung, dass sie jeden anderen nach Belieben bombardieren könnten, und niemand würde zurückbomben.“

Winston Churchill
Der britische Premier Winston Churchill war erst von Härte überzeugt – doch haderte später.
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Churchill sah das genauso. Und die Antwort folgte: Am 17. Dezember 1940 fiel Mannheim dem ersten britischen Flächenbombardement zum Opfer. Der Auftakt zu einer Strategie, die Churchill mit Stalin umriss: „Wir werden keine Gnade zeigen.“ Seine Geschwader würden, wenn nötig, „fast jedes Haus in jeder deutschen Stadt zerstören“. Mehr als eine halbe Million Menschen starben in Deutschland durch amerikanische und britische Fliegerbomben. Doch der Plan scheiterte. Deutsche Städte brannten, aber der Krieg ging weiter.

Sportler, Abenteuer – Mörder?

Historiker Richard Overy zieht ein klares Fazit: „Bombenangriffe waren in Europa zu keinem Zeitpunkt eine kriegsentscheidende Strategie.“ War der Pilot Ted Swales also ein Verbrecher und Mörder, der wie deutsche Soldaten zwar Befehle befolgte, damit aber gegen das Kriegsvölkerrecht verstieß?

Historiker Dietmar Pieper kommt zu einem anderen Ergebnis: Dass die Strategie ihr Ziel verfehlte, bedeute nicht, dass sie willkürlich oder ideologisch verblendet war. Churchill und seine Militärs sahen den schrankenlosen Luftkrieg als notwendiges, wenn auch widerwillig angewandtes Übel – ein Mittel, um die Nazis zu bezwingen.

Ted Swales (der Vierte von rechts) mit seiner Crew vor dem Pathfinder-Bomber. Er überlebt den Einsatz über Pforzheim nicht.
RAFWARMUSEUM

Der hunderttausendfache Tod, den sie über die deutsche Zivilbevölkerung brachten, sei weder Selbstzweck noch Ausdruck einer Wahnidee gewesen, so Pieper. Gerade darin liege der entscheidende Unterschied zum antisemitischen und „rassistischen Vernichtungsfuror der Deutschen unter Hitler“, so Pieper.

Einen Monat vor der Zerstörung Pforzheims wurde das Massenvernichtungslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Und auch in Frankreich, Italien und Jugoslawien sickern die grausamen Verbrechen der Deutschen an die Weltöffentlichkeit durch.

Doch davon konnte der Pilot Swales nicht viel wissen, der über Pforzheim den Angriffen der Messerschmitt auswich.

Aber wer war dieser Mann, und wie kommt es, dass ein Südafrikaner für die Briten kämpft, in einem Krieg über 8000 Kilometer von seiner Heimat entfernt?

Banklehre, dann der große Krieg

Edwin (Ted) Essery Swales wuchs in einer Farmerfamilie in Natal, Südafrika, auf. Er war ein guter Schüler, spielte Rugby und Cricket, heißt es in heroisch anmutenden Medienberichten, die nach seinem Tod veröffentlicht wurden.

Mit 19 begann er eine Banklehre. Aber Swales war ein Abenteurer. 1935 trat er den „Natal Mounted Rifles“ in Südafrika bei, das damals noch Teil des British Emire war. Als der Krieg 1939 ausbrach, wurde er sofort mobilisiert. Er kämpfte in Ost- und Nordafrika. Über 330 000 Landsleute mit ihm. Doch sein Blick ging zum Himmel. 1942 begann er seine Pilotenausbildung. Und als sich die Möglichkeit ergab, für die Briten zu kämpfen, segelte er mit 60 anderen Piloten nach England – zur Royal Air Force.

Die Einsätze waren gefährlich. Im Oktober 1944 wurde er abgeschossen, konnte aber in der Nähe von Brüssel notlanden. Auch nach dem Angriff auf Pforzheim versuchte er, mit dem beschädigten Flugzeug England zu erreichen. Über 300 alliierte Piloten, die den Deutschen in die Hände fielen, wurden gelyncht. Über Nordfrankreich war klar, die Maschine würde es nicht schaffen.

Pforzheim - Zweiter Weltkrieg
Blick auf das zerstörte Pforzheim.
picture alliance/dpa

Die „London Gazette“ veröffentlichte zwei Monate nach Swales‘ Tod eine Rekonstruktion der Ereignisse direkt nach der Zerstörung Pforzheims:

„Das Flugzeug (...) wurde immer schwieriger zu kontrollieren und verlor stetig an Höhe. Als er erkannte, dass die Lage aussichtslos war, befahl Captain Swales seiner Besatzung, mit dem Fallschirm abzuspringen. Die Zeit drängte, und es erforderte seine ganze Anstrengung, das Flugzeug stabil zu halten, während jedes Besatzungsmitglied nacheinander zur Fluchttür gelangte und sich in Sicherheit brachte. Kaum war das letzte Besatzungsmitglied gesprungen, stürzte das Flugzeug ab. Captain Swales wurde tot im Cockpit gefunden.“

Churchill distanziert sich

Arthur „Bomber“ Harris, der Mann, der den Angriff befohlen hat, schrieb an Swales‘ Mutter über ihren toten Sohn: „Seine Pflichterfüllung und völlige Missachtung seiner eigenen Sicherheit werden für uns alle ein Vorbild und eine Inspiration bleiben ...“ Eine Ehefrau oder Kinder tauchen in den Überlieferungen nicht auf.

Der 29-Jährige wurde posthum mit dem prestigeträchtigsten Orden der Briten, dem „Victoria-Kreuz“, ausgezeichnet. Und vergessen. Mehr als 55 000 Crewmitglieder britischer Weltkriegsbomber haben ihre Einsätze gegen Deutschland nicht überlebt.

Arthur Harris erarbeitete sich im Krieg den Namen "Bomber-Harris" und war das Gesicht des britischen Luftkrieges gegen Deutschland und nach dem Krieg eine umstrittene Persönlichkeit.
archiv

Die übrigen Soldaten des „Bomber Command“ erhielten keine Erinnerungsmedaillen, anders als andere Militärs.

Noch bevor der Krieg endete, distanzierte sich Churchill von seiner Strategie. Er meinte, dass die Zerstörung Dresdens ernsthafte Fragen über die alliierte Bombenkriegsführung aufwerfe.

Nach dem Krieg war man in Großbritannien nicht stolz auf die Zerstörung. Hatte man sich, getrieben von Hass und Rache, mit der Vernichtung auf das Niveau des Feindes begeben?

Harris, das Gesicht der Bombardements, blieb der Eintritt ins Oberhaus verwehrt. Verbittert zog er sich nach Südafrika zurück – dort wurde Swales als einer der größten Soldaten des Landes gefeiert. Zumindest ein paar Jahre lang.

In der Metropole Durban wurde eine Stadtautobahn nach ihm benannt. Nach Ende des Apartheid-Regimes aber umgetauft. In „Solomon Kalushi Mahlangu Drive“, nach einem Anti-Apartheidskämpfer, der 1979 vom südafrikanischen Regime erhängt wurde.

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