Ärztliche Bereitschaftspraxis
Ein Arzt misst bei einer Patientin den Blutdruck – den gilt es, im Sinne eines gesunden Lebens, im Blick zu behalten.
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Politik
Experte im PZ-Autorenforum: „Rauchen ist das stärkste Gift für die Gefäße“
  • Bruno Knöller

Viele Menschen träumen von einer Wunderpille, um das Leben verlängern zu können. Professor Dr. Martin Middeke, anerkannter Experte für Bluthochdruck, hat diese Pille zwar nicht, dafür aber eine Formel erfunden, um dieses Ziel zu erreichen. Diese „Alters-Formel“ stellt der einstige Münchner Chefarzt nicht nur in seinem neuesten Buch, sondern auch den Leserinnen und Lesern im PZ-Autorenforum am Donnerstag, 17. Juli, um 19 Uhr vor. Im PZ-Interview spricht er „von der erfolgreichsten präventiven Maßnahme überhaupt“.

Er gibt wertvolle Tipps, wie beispielsweise ein warmes Vollbad bei einer „Hypertensiven Krise“ oder bei Herzrasen Druck auf die Augäpfel, Eiswasser trinken und Pressatmung.

Pforzheimer Zeitung: Als ausgewiesener Experte für Bluthochdruck haben Sie eine „Alters-Formel“ HAB 60 – 6 – 120 (bei Älteren 70 – 7 – 140) entwickelt: Herzfrequenz (Puls) = 60 (70) Schläge pro Minute, Atemfrequenz = 6 (7) mal Atmen pro Minute, Blutdruck = 120 (140) mmHg systolisch. Das Atmen kann ich am leichtesten beeinflussen. Wie oft soll ich am Tag diese Tiefenatmung durchführen, um wie viel Jahre länger zu leben?

Professor Dr. Martin Middeke: Es reichen wenige Minuten langsame Tiefenatmung eventuell mehrmals am Tag, um insbesondere in Stresssituationen Blutdruck und Herzfrequenz zu senken und somit das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen zu reduzieren. Die besten Daten zur Senkung der Sterblichkeit und somit Lebensverlängerung gibt es für die Blutdrucksenkung bei erhöhten Werten beziehungsweise einer Hypertonie. Das gilt bis ins hohe Alter und ist die erfolgreichste präventive Maßnahme überhaupt in der Medizin.

Wahnsinn: Etwa 20 Millionen Menschen in Deutschland, also ein Viertel unserer Bevölkerung, haben erhöhten Blutdruck. Sollten da Vorsorgeuntersuchungen Pflicht werden oder muss jeder Einzelne besser auf sich selbst aufpassen?

Regelmäßige Blutdruckmessungen werden empfohlen und sollten bei jedem Arztbesuch durchgeführt werden. Auch Messungen in der Apotheke oder Selbstmessung zu Hause sind sinnvoll, um eine Hypertonie zu erkennen. Diese sollte dann nach Bestätigung auch konsequent behandelt werden. Da ist in Deutschland noch viel „Luft nach oben“.

Noch ein Hammer, über den Sie in Ihrem Buch schreiben: Die Gesamtlänge des menschlichen Gefäßsystems beträgt etwa 100.000 Kilometer, das deutsche Schienennetz aber nur 40.000 Kilometer. Wie können wir in unserem Körper Staus und Chaos verhindern?

Ein Stau im Gefäßsystem entsteht durch Stenosen, Thrombosen und Verschlüsse, die zu schweren Durchblutungsstörungen von Gehirn, Augen, Herz und Nieren führen. Wir können das verhindern, indem wir unsere Gefäß-Risikofaktoren erkennen, messen und behandeln beziehungsweise vorbeugen.

Sie geben viele wertvolle Tipps. Beispielsweise bei Herzrasen Druck auf die Augäpfel, Eiswasser trinken und Pressatmung. Das heißt: Tief einatmen, dann die Luft anhalten und die Bauchmuskulatur anspannen. Warum sind solche Ratschläge nicht allgemein geläufig und nicht Standard?

Ich gebe ja diese Tipps in meinem Buch, weil ich weiß, dass diese Ratschläge leider nicht Standard sind. Das betrifft zum Beispiel auch die Tiefenatmung oder ein warmes Vollbad um einen erhöhten Blutdruck auch bei einer „Hypertensiven Krise“ rasch und effektiv zu senken. Nur selten liegt ein hypertensiver Notfall vor, der eine stationäre Behandlung erfordert.

Mal kritisch gefragt: Was nützt es uns, von Ihnen zu wissen, dass körperlich kleine Menschen ein höheres Risiko haben, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erleiden? Erhöht dieses Wissen eventuell sogar den Stress und die Gefahr, zu erkranken?

Das Wissen um die Zusammenhänge von Alter, Geschlecht und Körpergröße ist sehr hilfreich, um zum Beispiel bei großen Jugendlichen und jungen Männern mit der sogenannten juvenilen systolischen Hypertonie eine unnötige Medikation zu vermeiden oder eben diese rechtzeitig zu beginnen, wenn insbesondere kleinere ältere Frauen nach der Menopause deutlich mit dem Blutdruck ansteigen und aufgrund der besonderen Gefäßsituation schneller eine Gefäßsteifigkeit entwickeln. Das sind nur zwei „extreme“ Beispiele.

Sie gehen am härtesten mit Rauchern ins Gericht. Ist Nikotinkonsum eine schlimmere Sünde als ungesundes Essen und starkes Übergewicht?

Rauchen ist das stärkste Gift für die Gefäße und eindeutig das sehr viel größere Risiko als „ungesundes Essen“ oder Adipositas.

Wir hatten in unserem PZ-Forum vor einiger Zeit Ihren ebenfalls berühmten Kollegen, den früheren Chef des Tumorzentrums München, Professor Dr. Volkmar Nüssler, zu Gast. Trifft die Vermutung zu, dass eigentlich interdisziplinär die meisten und dieselben Ratschläge in Sachen Ernährung, Bewegung, Begegnung zur Vorbeugung und Linderung bei fast allen Krankheiten helfen: Egal ob es um Krebs, Herz-Kreislauf, Demenz, Psyche, Osteoporose und was auch immer geht?

Tatsächlich sind die auch in meinem Buch beschriebenen Lebensstilfaktoren nicht nur wichtig für eine optimale Durchblutung aller Organe, sondern schützen zum Beispiel auch vor Krebs. Ein Kapitel habe ich überschrieben „Lebensmittel anstatt Todesmittel“. Die deutliche Zunahme von Krebserkrankungen bei unter 50-Jährigen wird überwiegend auf den Verzehr hoch verarbeiteter Lebensmittel zurückgeführt. Und bei allen Demenzformen – einschließlich Alzheimer – sind die Durchblutungsstörungen des Gehirns maßgeblich beteiligt.

Zur Person:

Professor Dr. med. Martin Middeke, ein in Olsberg geborener Sauerländer, studierte Humanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München und arbeitete an der Medizinischen Poliklinik der LMU im Anschluss bis 1993. Dort begann auch die Forschung des heute 76-Jährigen zur Blutdruckregulation und Therapie der arteriellen Hypertonie. Die klinische Forschung setzte der mit vielen Preisen bedachte Mediziner auch danach als Chefarzt im Reha-Bereich und bis zuletzt in eigener Praxis in München fort. In den letzten zehn Jahren stand die Forschung zur Gefäßsteifigkeit mittels Pulswellenanalyse im Vordergrund und 2020 die Entwicklung der eigenen Hypertonie-App.

Middeke ist Autor und Herausgeber zahlreicher Lehrbücher und Patientenratgeber, darunter die Bestseller „Anamnese und Klinische Untersuchung“, „Bluthochdruck senken ohne Medikamente“ und aktuell „Die Alters-Formel – Wie uns eine gute Durchblutung gesund hält.“ Nach fast 48 Jahren hat er seine ärztliche Tätigkeit beendet und lebt nun mit seiner Frau in Berlin.

Karten für das PZ-Autorenforum mit Martin Middeke am Donnerstag, 17. Juli, 19 Uhr, erhalten Sie online unter www.pz-forum.de oder telefonisch unter (07231) 933125. Der Eintritt kostet 10,50 Euro (mit PZ-AboCard 6,50 Euro).