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In dem Gebäude rechts an der Würmtalstraße in Mühlhausen, in dem auch der Bauhof angesiedelt ist, waren im April zwei Gambier untergebracht, deren Streit jetzt das Gericht beschäftigt. Vor dem Angriff soll das Opfer über die Straße geflüchtet sein.  Foto: Meyer 

Prozess wegen Messerattacke gegen Mitbewohner in Tiefenbronner Asylunterkunft beginnt: Auch das Opfer sitzt in U-Haft

Tiefenbronn-Mühlhausen. Am Mittwochvormittag mussten die Saaldiener am Amtsgericht Pforzheim gleich mehrmals Handschellen lösen. Denn nicht nur der wegen einer Messerattacke im April angeklagte 26-jährige Gambier kam aus der Untersuchungshaft angereist. Auch das 21-jährige Opfer, gleichzeitig dessen ehemaliger Mitbewohner und ebenfalls aus Gambia, wartet gerade wegen eines Drogendelikts hinter Gittern auf seinen Prozess.

Es war der 16. April 2020, 11 Uhr: Nach einem Streit in der gemeinsamen Wohnung soll der 26-Jährige seinen jüngeren Landsmann neben einer Tankstelle gegenüber der Asylunterkunft an der Würmtalstraße in Mühlhausen niedergestochen und schwer am Hals verletzt haben. Vor Gericht schweigt er zu den Vorwürfen. Worum ging es bei dem Streit? Und hat das schwer verletzte Opfer zuvor selbst in der Wohnung mit einem Messer zugestochen?

Diese Details stellten sich am ersten Verhandlungstag für Richter Konrad King als besonders interessant heraus. Denn so klar, wie die Prozessbeteiligten den Fall zu Beginn gesehen hatten, stellte er sich am Ende des Tages nicht heraus.

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Region

Auseinandersetzung mit Messer: Bewohner einer Asylunterkunft in Tiefenbronn in Untersuchungshaft

Der Angeklagte soll an diesem Donnerstag im April ein befreundetes Pärchen zum Grillen eingeladen haben. Doch nur fünf Minuten nachdem die beiden in der Wohnung in Mühlhausen eingetroffen waren, sei es zum Streit zwischen den zwei Mitbewohnern gekommen. An den Grund kann sich im Zeugenstand niemand erinnern. Nach einer handfesten Auseinandersetzung schaffte es der 22-jährige Besucher schließlich, die Streithähne auseinanderzubringen.

Bauhof-Mitarbeiter holt Polizei

Dass dabei schon ein Küchenmesser zum Einsatz gekommen sein soll, wie es der Polizeibericht nahelegt, davon habe der Besucher nichts mitbekommen. Auch das spätere Opfer dementiert trotz bohrender Fragen von Verteidiger Martin Stirnweiss vehement, seinen Mitbewohner zuvor mit einem Messer verletzt zu haben.

Dem entgegen steht die Aussage eines 42-jährigen Mitarbeiters des ebenfalls im Gebäude untergebrachten Bauhofs, der von einem Zeugen zu dem Streit hinzugerufen wurde. „Viel Blut, viel Blut!“, soll der Mann gesagt haben, als er ihn zu Hilfe rief. Bei seinem kurzen Blick in die Wohnung habe der 42-Jährige dort Blut auf dem Boden und eine verletzte Person liegen sehen. Er alarmierte die Polizei – und verließ das Gebäude wieder, weil ihm die Sache „zu gefährlich“ erschien.

Draußen konnte er sehen, wie eine Person vor der anderen aus dem Haus Richtung Tankstelle flüchtete und dort von seinem Verfolger „niedergeschubst“ wurde. Hier soll es laut Anklage zu der Attacke mit einem Messer gekommen sein, bei dem das 21-jährige Opfer mit Stichen an Armen, Brust und Hals schwer verletzt wurde. Der Mann musste laut Polizei intensivmedizinisch im Krankenhaus behandelt werden. Vier Tage habe er dort bewusstlos gelegen, gab er im Zeugenstand an. Momentan klagt er noch über starke Kopfschmerzen durch die Verletzungen. Er sitzt derzeit wegen eines Drogendelikts mit Marihuana ebenfalls in Untersuchungshaft.

Anwalt pocht auf Freilassung

Der Fall scheint alles andere als klar. Anwalt Martin Stirnweiss bezeichnete die Anklage zu Prozessbeginn als „falsch“ und „schlecht ermittelt“. Er forderte in einem Antrag die Aufhebung der Untersuchungshaft für seinen Mandanten, der schon seit mittlerweile vier Monaten im Gefängnis sitzt. Staatsanwältin Christine Roschinski sprach von einer „verworrenen Beweislage“, wobei ihr Richter Konrad King beipflichtete. Sie machte keinen Hehl daraus, dass es für sie „offen ist, wie das Gericht am Ende entscheidet“. Deshalb hatte sie keine Einwände gegen den Antrag der Verteidigung, den Angeklagten unter Auflagen auf freien Fuß zu setzen.

Der Prozess wird am Mittwoch, 9. September, im Amtsgericht Pforzheim fortgesetzt. Dann werden auch die hinzugerufenen Polizisten gehört, die den 26-jährigen Angreifer auf der Straße festgenommen hatten.

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Constantin Hegel

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