
Kurzer Prozess: Andreas Beier betäubt ein Schwein durch einen Elektroschock.

Kurzer Prozess: Andreas Beier betäubt ein Schwein durch einen Elektroschock.
T. Keller- Lisa Belle
Die meisten Menschen essen Fleisch. Die wenigsten setzen sich damit auseinander, woher es stammt. Es gibt nur noch wenige Metzger, die selbst schlachten. Die PZ war beim Obermeister der Fleischer-Innung zu Besuch und zeigt ein Handwerk, das sonst im Verborgenen liegt – weil es keiner so gerne mit ansehen mag.
Dieser Artikel ist eine der 18 "PZ-Storys des Jahres". Was hat es damit auf sich? Pünktlich zum Jahreswechsel hat PZ-news die Geschichten des Jahres zusammengestellt: Ein - unvollständiger - Blick auf die besten, spannendsten und bewegendsten Texte, Bilder und Multimediareportagen des Jahres 2018. Diese sind jedoch kein klassischer Jahresrückblick, wie er am Montag, 31. Dezember, in der Pforzheimer Zeitung zu finden ist. Vielmehr handelt es sich bei der Zusammenstellung - ganz subjektiv - um einige Lieblingsgeschichten der PZ-news-Redaktion. Sie gingen zu Herzen, bewegten die Menschen, lösten Diskussionen aus. Eine Übersicht über all diese 18 ausgewählten Geschichten erhalten Sie hier
Nöttingen schläft hinter verschlossenen Läden, die Müllabfuhr leert krachend die Tonnen, Fleischermeister Andreas Beier begleitet das sechste Schwein an diesem Tag auf den letzten Metern seines Lebens. „Ganz ruhig“, sagt er zu dem Tier und bugsiert es unaufgeregt, aber bestimmt aus dem Stall. Der Rüssel schnüffelt über den Boden. Beier setzt die Zange an die Seiten des Kopfes. Strom fließt, die Sau fällt augenblicklich. Kein Quieken. Kein Laut. Nur Zucken. „Vollnarkose“, sagt Beier.

Vom Schwein zum Steak: Zu Besuch beim Schlachter
Am Hinterlauf wird das Schwein gen Decke des Schlachthauses der Metzgerei „Dürr & Beier“ gezogen, seine andere Klaue tritt in die Luft. „Das sind nur die Nerven“, sagt Beier. Mit einem gezielten Stich in den Hals besiegelt er den Tod. Tiefrot klatscht das Blut auf die Fliesen, dampft in der kalten Luft, rinnt Blasen schlagend in den Gulli. Liter um Liter im Puls des schwächer werdenden Herzschlags – Welle – Fluss – Rinnsal. Rote Wände, roter Boden. Der letzte Atemzug entweicht den Lungen, der Körper erschlafft. Die Sau ist tot.
Sie ist still gestorben. Das Töten ist Alltag für Geschäftsführer und Fleischermeister Beier sowie die Metzgergesellen Karl Bauer (50) und Robin Riedl (24). Sie verkaufen nur, was sie selbst schlachten. Etwas anderes komme für ihn nicht infrage, sagt Beier und packt das Schwein am Rüssel, während es in die Brühmaschine gleitet. Er wolle wissen, woher die Tiere kommen, die er verarbeitet – und wie sie gestorben sind. Mit dem Wasserschlauch spritzt er das Blut von Kittel und Gummistiefeln. Von Armen und Händen. Beier kauft nichts zu. Wenn die Filets aus sind, sind sie aus. Eine traditionelle Philosophie, die sich nur noch wenige leisten.
Respekt trotz Routine
Was rosig war, ist blass verbleicht, als das Schwein aus dem 61 Grad heißen Wasser in die Kratz gehievt wird. Polternd schlägt das Gerät den leblosen Körper über scharfe Walzen, schabt die Borsten ab. Als Beier, Obermeister der Fleischer-Innung Pforzheim-Enzkreis, die restlichen Haare auf dem verdrehten Körper abflammt, stinkt es zum ersten Mal erbärmlich. Blut riecht viel mehr nach nichts, als man denkt. Mit einer Zange packt Karl Bauer die Klauen des Schweins, reißt sie aus, bricht sie ab. Knack – wie eine Walnuss in hölzernem Mund. Knack – krach – knack.
Das Schwein baumelt an Haken durch die Hinterläufe. Bauer schneidet den Bauch auf, von hinten bis zur Kehle. Die Messer sind so scharf, dass sie durch Gewebe gleiten wie durch Butter. Dickdarm, Dünndarm, Magen, Milz – fahl und glitschig klatschen sie in die Tonne. Bauer schneidet das Zwerchfell auf. Eine feine, helle Trennwand zwischen Genuss und Gedärm. Herz, Lunge, Zunge, Schlund, Leber, hängen tiefrot an Haken und warten auf Dr. Axel Sieger, während die Säge kreischend den Schweinekörper in zwei Hälften teilt. So landet er im Kühlhaus. Ab jetzt gefühlt mehr Steak als Tier. In Gummistiefeln und weißem Kittel tritt der Veterinär ins Schlachthaus. Wie jeden Montag. Routine für den Fleischbeschauer. Er überprüft die Tiere im Auftrag des Landratsamtes vor und nach ihrem Tod. Nur ein Teil des Papierkrieges, sagt Beier. Aber so ist das eben.
Auf dem Hof ist Schäfer Jens Bihler vorgefahren mit zwei seiner 500 Tiere im Hänger. „Aufziehen tut man sie nicht in dem Sinn, dass man sie schlachtet“, sagt er. Der Weg zur Metzgerei – „schon komisch, aber wir leben davon.“ Bihler bleibt nicht, bis seine Schafe ihr Leben lassen. Die Metzger ziehen das rot getränkte Fell vom Fleisch. Ein routinierter Kraftakt.
Tumult im Hof. Der Ochse vom Biolandhof Gay will nicht vom Hänger. „Die wissen, was passiert. Dumm sind sie nicht“, sagt Birgit Gay. „Man sieht es ihnen an den großen Augen an. Aber das Schlachten gehört dazu.“ Deshalb bleibt sie auch, bis der Bolzen zwischen den Augen ins Gehirn des Ochsen schießt. Der Knall hallt wider, das Tier fällt auf die Seite, Robin Riedl schneidet ihm die Kehle durch. Ein See. Der Ochse schlägt mit den Hufen, als wolle er fliehen. Die Nerven, die Muskeln. „Fünf Minuten dauert es“, sagt Beier. Und wartet, bis es vorbei ist.
Das siebte, das achte, neunte Tier. Zange, Blut, Innereien – so unerwartet schnell gewohnt. „Nach meinem ersten Schlachttag wollte ich nicht mehr kommen“, erinnert sich Beier. „Am Zweiten ist es ins Normale übergegangen.“ Doch noch heute ertappe er sich manchmal dabei, wie sich da etwas in ihm bewegt – „wenn ich in den Stall komme und ein Schwein schaut mich treu an.“
Die Männer arbeiten konzentriert, nur das Schaben der Klingen, das Plätschern des Wassers, das Surren der Flaschenzüge. Die Stimmung ist gelöst, ruhig. Acht Schweine, fünf Lämmer, fünf Rinder. Beier glaubt ans Überleben seines Handwerks. Er glaubt, weil er hofft. Darauf, dass der Verbraucher sich für Tierschutz und Regionalität entscheiden wird, bevor es zu spät ist. „Wir haben das Schlachten lange vertuscht“, sagt er und beißt in ein Wurstbrötchen. Frühstückspause. „Dass das ein fairer, schonender Prozess ist, haben wir nicht thematisiert.“ So, wie sie es tun. Anderswo ist Schlachten mehr Fließbandarbeit als Handwerk. „Ich stehe zum Schlachten, aber ich kann nicht in Worte fassen, dass es okay ist.“ Der Mantel des Schweigens wiegt noch schwer.