Eigentlich hätte der Caritasverband Pforzheim bereits im April 2021 ihr Jubiläum feiern wollen. Mit einem Jahr Verzögerung hat der Festakt am Freitagnachmittag stattgefunden. Mit dabei waren Gäste aus Politik und Medien, Verwaltung, Handwerk und Industrie, Kirche und Wohlfahrtsverbänden, Betroffene, Angehörige und Mitarbeitende.
Jeder an seiner Stelle sorge laut Caritasdirektor Frank Johannes Lemke für einen „unbändigen Gemeinschaftsgeist, etwas Richtiges und Gutes in Gang zu setzen“, der den Verband bis heute trage. Er erinnerte an Meilensteine wie den Kappelhof, das Wohnheim der Lebenshilfe in Eutingen oder das entstehende Haus in Illingen. Zugleich machte Lemke deutlich: „Soziale Arbeit, soll sie wirkungsvoll und nachhaltig sein, benötigt Ressourcen, zeitliche und auch finanzielle Investitionen.“ Welche Bedeutung Wohlfahrtsverbänden im sozialwirtschaftlichen Gefüge zukommt, verdeutlichte Festredner Stefan Sell.

„101 Jahre Caritas Pforzheim bedeuten unzählige Einsätze für Menschen in Not. Viele gelungene Projekte, wie etwa die Frühförderung, das Albert-Stehlin-Haus oder das Walter-GeigerHaus, letztere beide als Bundesmodelle ausgezeichnet. Den Mitarbeitenden und Verantwortlichen der Caritas Pforzheim danke ich im Namen der Stadt Pforzheim von Herzen für das bisher Geleistete. Mögen sie auch weiterhin mit Weitsicht, Innovationsfreude und Herz die Herausforderungen unserer Zeit anpacken und vor allem den Schwächeren in unserer Gesellschaft die Hilfe bieten, die sie brauchen. Besonders unsere Kinder, Senioren und Menschen mit Handicap benötigen unseren Einsatz. Ich freue mich, gemeinsam mit der Caritas unser Pforzheim noch lebenswerter und sozialer zu machen.“
Peter Boch, Oberbürgermeister

Vieles, was sie leisteten, werde jedoch als Kostenproblem gesehen, so der Professor an der Hochschule Koblenz. Es brauche einen Perspektivenwechsel, „weg von der kostenfixierten Wahrnehmung“, so der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Seine Studie ergab: „Von jedem Euro, den der Staat in die Sozialwirtschaft investiert, fließen 72 Cent durch Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge zurück an die öffentliche Hand.“ Doch während die Kommunen oft einen erheblichen Teil der Kosten tragen, gehe der Großteil an Sozialversicherungen (63 Prozent), Bund und Land (je 17 Prozent), nur drei Prozent an die Kommunen. Dabei ist Sell überzeugt: „Künftig werden Probleme nur auf kommunaler Ebene gelöst werden können.“

OB Peter Boch, der am Freitag ebenfalls Geburtstag feierte, betonte die „große Innovationskraft“ der Caritas, die mit mehr als 30 Angeboten allein in Pforzheim Maßstäbe setze. Die Caritas mit 1000 haupt- und 250 ehrenamtlichen Mitarbeitenden sei nicht bloß „Helferin in Not“, sondern auch Sprachrohr jener, um die sie sich kümmere. Diese seien es neben Eltern und Angehörigen auch, die viele Entwicklungen erst möglich machten, betonte Gisela Goldmann, stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende.

„Vor allem den vielen Beschäftigten möchte ich zurufen: Seid stolz auf das, was ihr macht. Ihr und eure Arbeitgeber müssen sich nicht auch noch dafür entschuldigen, dass das, was ihr macht und den Laden zusammenhält, Geld kostet.“
Festredner Professor Stefan Sell
Munter durch das Programm führte Moderator Jess Jochimsen, für Unterhaltung sorgten das Klavierduo Ljiljana Borota &Christian Knebel sowie Kinder vom Hort der Schanzschule. PZ-Redakteurin ANKE BAUMGÄRTEL


Zum Fest
Die Katholische Kirchengemeinde Pforzheim und der Katholische Dekanatsverband Pforzheim feiern mit dem Caritasverband am Sonntag, 1. Mai, um 11 Uhr in Sankt Franziskus einen Festgottesdienst. Weihbischof Peter Birkhofer wird den Gottesdienst leiten und die Predigt halten. Mitgestaltet wird der Gottesdienst von den Caritaseinrichtungen Hort an der Haidachschule, dem Naturkindergarten, der Witzenmann-Kinderwelt und der SWP-Kita sowie vom Kirchenchor Sankt Franziskus. Der Gottesdienst ist öffentlich und darf von Besuchern mitgefeiert werden. pm
Bedingungslos praktizierte Nächstenliebe

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Caritas Pforzheim, 101 Jahre Caritas Pforzheim bedeuten: mehr als ein Jahrhundert Einsatz für Menschen am Rande unserer Gesellschaft.
Nachdem die seit zwei Jahren vorbereiteten Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum im Frühjahr 2021 aufgrund der Pandemie abgesagt werden mussten, wird in diesem Jahr das 101-jährige Jubiläum gefeiert.
Jubiläum? Abgeleitet aus dem alttestamentlichen wird darunter ein Jubeljahr verstanden. Aber darf die Caritas Pforzheim ein Jubeljahr aufgrund ihres langen Bestehens feiern? Immerhin wurden seit dem Bestehen des katholischen Wohlfahrtsverbandes Zigtausende von Menschen begleitet und betreut, die aufgrund ihrer gesundheitlichen- oder sozialen Lage einen erheblichen Unterstützungsbedarf hatten. Gesetzliche Lücken, schwere Schicksalsschläge sowie massive Erkrankungen und/oder vielleicht auch Behinderungen forderten den Einsatz der Caritas Pforzheim durch ihre heute über 1000 hauptamtlich- und rund 250 ehrenamtlich Mitarbeitenden.
Eine Klärung tut also Not. Und dafür eignet sich ein Rückblick. Die Caritas Pforzheim lässt sich in ihrem Wirken von der Liebe zum Menschen leiten. Die praktizierte Nächstenliebe, die bedingungslos ist und keine Solidarität erwartet, stellt also den intrinsischen Ansatz für ihr Tun dar. Und diese Verinnerlichung vom Dienst am Nächsten ist die eigentliche Berechtigung für das Dasein der Caritas Pforzheim. Durch ihr Selbstverständnis, dass jeder einzelne Mensch ein Geschöpf Gottes ist und keine Unterschiede zwischen armen und reichen Menschen macht, hat unser Handeln stets geleitet: in der Alten- und Behindertenhilfe, bei unserer Unterstützung für Kinder- und Familien, in der Begleitung von Migranten und Flüchtlingen und in der allgemeinen Sozialarbeit.
In der Altenhilfe konnten einige neue Wege beschritten werden, die sich durch die Auszeichnung des Bundesmodells für das Albert-Stehlin-Haus und das Walter-Geiger-Haus positiv niederschlugen.
Worüber wir aber auch froh sind, ist die Tatsache, dass wir mit unserer interdisziplinären Frühförderstelle und unserem Zentrum für Familien in der Pforzheimer Innenstadt zusammen mit fünf Eltern-Kind-Zentren an verschiedenen Kindertagesstätten ein wirkungsvolles Netz von niederschwelligen Hilfe- und Unterstützungsstrukturen für Familien schaffen konnten.
Und war einstmals die Arbeit der Caritas durch den Fürsorgeansatz geprägt, zeichnet sich diese durch die Hilfe zur Selbsthilfe aus. „Hilf´ mir, es selbst zu tun“ bedeutet zugleich auch, nicht nur zu behüten, sondern zu fördern und zu fordern, damit Menschen ihren Weg finden, um möglichst unabhängig von anderen leben zu können.
Deswegen feiert die Caritas Pforzheim auch kein Jubelfest, aber sie möchte mit ihrem 101-Jahr-Fest ein Zeichen setzen für eine moderne, dem Menschen dienende Hilfestruktur, die nicht bevormundet und bindet, sondern die gemeinsam mit den betroffenen Menschen gelebt wird mit dem Ziel, sich als Unterstützer überflüssig zu machen.
In herzlicher Verbundenheit mit allen Unterstützenden verbleibt
Ihr Frank Johannes Lemke Caritasdirektor | Vorstandsvorsitzender