
Pforzheim. Rechnungen stapeln sich auf dem Schreibtisch, Belege fliegen umher, die Eingangspost muss händisch sortiert, geprüft und freigegeben sowie ausgeführt, bevor die Akten zum Steuerberater gefahren werden. Auch der Gang zur Bank, um Kontoauszüge abzuheben, bleiben der fiktiven A-GmbH nicht erspart.
So sieht der analoge Alltag vieler Handwerksbetriebe und kleiner und mittlerer Unternehmen aus, weiß Kersten Weiß, Teamleiter für Digitalisierung bei der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft dhmp mit Sitzen in Karlsruhe und Pforzheim. Doch dagegen können Betriebe etwas tun – auch in einem ungünstigen Moment wie der Corona-Krise. Denn: „Das Thema Digitalisierung kann man auch in kleinen Schritten angehen.“
Wie das geht, zeigt Weiß an diesem Donnerstagmorgen bei einem Webinar im Rahmen des Digital Hub Nordschwarzwald, das kleine und mittelständische Unternehmen sowie Existenzgründer und Start-ups bei der Transformation unterstützen möchte.
Vom Papier zum Byte
Beim Praxisbeispiel nimmt Weiß den kaufmännischen Prozess unter die Lupe: Belege, Korrespondenz, Banking, Kassenbuch, Warenwirtschaft und Vorsysteme. Und das häufig auf Papier statt in Bits und Bytes.
Dabei bietet die Digitalisierung der Zettelwirtschaft viele Vorteile: Wenn etwa die Eingangsrechnung eingescannt und von einem System direkt erkannt wird, dann kann das System Rechnungsdaten automatisch ergänzen oder auch Zahlungsvorschläge erstellen. Innerhalb eines Archivs kann jederzeit nach einem Beleg gesucht werden – „Und das ist hundert mal einfacher als in einer Papierakte zu suchen“, sagt Weiß.
In diesem Sinne sei das papierlose Büro eine Grundlage der Digitalisierung. Denn nur so könnten Informationen weiterverarbeitet werden, Prozesse automatisiert und wirtschaftlich einen Nutzen bringen. Die erste Anschaffung dafür wäre ein sogenannter Dokumentenscanner, der speziell für analoge Dokumente oder kleine Belege gedacht sei.


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Und das hat fast jedes zweite mittelständische Unternehmen bereits erkannt: 47 Prozent der Befragten setzen einer Bit-Studie zufolge nicht mehr nur auf Papier, sondern organisiert und verwaltet seine Dokumente digital.
Am Ende muss „ein digitaler Flow“ entstehen, erklärt Weiß. Häufig nutzen Unternehmen aber einzelne Programme etwa für das Banking oder das Warensystem. Das Problem dabei: „Diese Insellösungen können nicht wirklich miteinander kommunizieren“, sagt Weiß. „Dadurch sind die digitalen Prozesse sehr zersplittert.“
Um sie zu einen, gebe es spezielle Portale, beispielsweise die des Softwareherstellers Datev aus Nürnberg. Sie bündeln auf einer Plattform unterschiedliche Module, die eine kaufmännische Abteilung brauche. Der Vorteil: „Alle Module kommunizieren miteinander“, erklärt Weiß.


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Deshalb rät der Experte: das große Ganze betrachten. Denn in der Regel greifen die Prozesse in einander – und auf den ersten Blick sei das nicht ersichtlich. Auch Medienbrüche müssten vermieden werden. „Ganz oft stellen wir fest, dass das nicht am Anfang passiert, sondern irgendwann zwischendrin oder zum Schluss.“
Außerdem sollten Prozesse neu gedacht werden, macht Weiß klar. „Sie dürfen nie ungeprüft eins zu eins ins Digitale übertragen werden.“ Denn dabei würde nur Frustration entstehen: „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess“, so das vielzierte Zitat von Thorsten Dirks, IT-Chef von Lufthansa, an das Weiß erinnert.
Und schließlich legt er den Teilnehmern des Webinars nahe: „Bauen Sie keine digitalen Quantenreaktoren.“ Handwerksbetriebe sollten keine komplexen Lösungen für das Problem bauen. Es gehe auch pragmatisch. „Zwar ist Technik wichtig, aber nicht alles.“