
- dpa/lsw
Stuttgart. Zum Schulstart hätten sich wahrscheinlich etliche Lehrer, Schüler und Eltern am Montag am liebsten gleich wieder hingelegt. Denn pünktlich zur ersten Schule schwänzte ausgerechnet die wichtige digitale Lernplattform Moodle. "Die Technik hat teilweise funktioniert, aber im großen Teil nicht, so dass das System, mit dem wir arbeiten, teilweise zusammengebrochen ist", erzählt Susanne Lutz, die Rektorin des Ravensburger Spohn-Gymnasiums. "Die Kinder konnten sich nicht anmelden, sie konnten nicht in das System hineinkommen." Kein Einzelfall. Über Twitter beschwerten sich zahlreiche genervte Lehrer und Eltern, die Opposition ließ sich die Vorlage nicht nehmen und kommentierte bissig.
Betrieben wird Moodle über das Datennetz der wissenschaftlichen Einrichtungen des Landes Baden-Württemberg BelWü (Abkürzung für Baden-Württembergs extended LAN). Dort liest sich das am Morgen noch etwas anders: "Die Moodle-Plattform hat heute morgen um Punkt 8 Uhr alle Rekorde gebrochen. Die meisten Instanzen halten dem Ansturm stand." Eben. Die meisten, keineswegs alle.


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Das baden-württembergische Kultusministerium rechnete am Vormittag vor, es seien rund 200 Schulen betroffen gewesen. "In weiten Teilen Baden-Württembergs und bei der überwiegenden Mehrheit der Schulen funktioniert Moodle jedoch störungsfrei", betonte ein Sprecherin. Derzeit nutzten etwa 600.000 Schüler und Lehrkräfte und etwa jede zweite Schule die Lernplattform, über die Schüler und Lehrer online miteinander in Kontakt treten, Lerngruppen einrichten und Aufgaben verteilen können. In den Ferien seien die Kapazitäten des Videokonferenztools Big Blue Button, die Rechenleistung der Moodle-Server optimiert und ausgeweitet sowie die Pufferkapazität um 50 Prozent ausgebaut worden, warb das Ministerium um Verständnis.
Viel Kritik, aber auch Verständnis
Ein Wunsch, der bei vielen Eltern und Lehrern unerhört blieb. "Kann es denn wirklich sein, dass es seit März keiner hinbekommen hat im @KM_BW eine funktionierende digitale Infrastruktur aufzubauen?", kritisierte eine Nutzerin am Morgen das Kultusministerium. Andere sehen die Verantwortung dagegen beim Webserver-Betreiber BelWü.
Einige zeigten allerdings auch Verständnis: "Plötzlich ne halbe Million Schüler (alleine in Baden-Württemberg) auf ner Infrastruktur zu haben ist alles außer trivial. Egal ob von BelWü gehostetes Moodle, Zoom, Teams oder was auch immer", schrieb ein Twitter-Nutzer und gab gleich noch einen Tipp: "Einfach ruhig durchatmen. Das wird schon." Ein weiterer Nutzer zieht amüsiert einen Vergleich heran: "Okay, ich erkläre es jetzt ganz einfach: Das ist so, wie wenn das komplette Kollegium um 7.45 vor dem Kopierer steht und jeder 500 Kopien machen will. Genau das passiert gerade bei #moodle", twitterte er.
"Früher hieß es: Wir können alles außer Hochdeutsch! Heute heißt es: Wir können alles außer Schule und impfen!",
sagte Rülke in Anlehnung an eine Werbekampagne des Landes.
Die beißende Kritik von SPD und FDP ließ dagegen nicht lange auf sich warten: "Die Kultusministerin hatte über neun Monate Zeit, um ein funktionierendes Fernlernsystem auf die Beine zu stellen", sagte SPD-Generalsekretär Sascha Binder. "Aber sie war vermutlich einfach zu beschäftigt mit ihren Wahlkampfveranstaltungen." FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warf Kultusministerin Susanne Eisenmann und Digitalminister Thomas Strobl (CDU) Totalversagen vor. "Früher hieß es: Wir können alles außer Hochdeutsch! Heute heißt es: Wir können alles außer Schule und impfen!", sagte Rülke in Anlehnung an eine Werbekampagne des Landes.


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Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) forderte, Datenleitungen schneller auszubauen und die Anbindung von Schulen zu priorisieren. "Die Internetleitungen sind völlig überlastet, da zum normalen Datenverkehr nun alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland hinzukommen", sagte VBE-Digital-Experte Oliver Hintzen. Träfen Eltern im Homeoffice auf Schülerinnen und Schüler im Homeschooling, sei eine Überlastung der häuslichen WLAN-Struktur und des privaten Internetanschlusses vorprogrammiert. Die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein schloss sich an und warf dem Ministerium vor, seine Hausaufgaben nicht gemacht und keine Voraussetzungen für Fernunterricht an allen Schularten geschaffen zu haben.
Fernunterricht in allen Bundesländern auf dem Stundenplan
Die Moodle-Server dürften noch einige Zeit beansprucht werden. Nicht nur schalten sich in den kommenden Tagen immer mehr Schulen in anderen Bundesländern auf, darunter auch Nordrhein-Westfalen. Fernunterricht steht zudem in allen Bundesländern und den meisten Schularten bis mindestens Ende Januar auf dem Stundenplan.
Mit der vorsichtigen Öffnung ab dem 18. Januar und abhängig vom Infektionsgeschehen geht Baden-Württemberg einen Sonderweg: Die meisten anderen Bundesländer lassen Schulen wie vereinbart generell geschlossen. Im Südwesten will die Landesregierung am Donnerstag entscheiden.
Ausnahmen von der Regel gab es bereits am Montag. Denn statt Fernunterricht konnten Schulen in den Abschlussklassen auch Präsenzunterricht anbieten, wenn dies unbedingt notwendig ist, um eine Prüfung vorzubereiten. Die Entscheidung liegt jeweils bei den Schulleitungen. Ebenfalls geöffnet wurden die sogenannten Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung und körperliche und motorische Entwicklung.


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Hacker hatten in Baden-Württemberg allerdings nicht ihre Hände im Spiel, wie das Kultusministerium betonte. Anders als in Rheinland-Pfalz, wo sie nach Angaben der dortigen Landesregierung in der vergangene Woche zum Schulstart massive technische Probleme verursacht hatten.