
Calw/Tübingen. Die Vorwürfe gegen die beiden Polizisten wogen schwer: unterlassene Hilfeleistung, rassistische Beleidigung und angedrohte Abschiebung. Hätte es sich während einer Kontrolle in Calw Anfang Mai tatsächlich alles so abgespielt, wie es ein 30-Jähriger und die Partei „Die Linke“ ein paar Tage später detailliert schilderten, es wäre ein Riesenskandal mit bundesweiter Beachtung geworden.
Doch die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen mittlerweile eingestellt und hat nun im Gegenzug den 30-Jährigen wegen Verleumdung im Visier. Für Die Linke ist der Fall offenbar noch nicht abgeschlossen. Ein Polizeigewerkschafter sieht die Kollegen dagegen rehabilitiert und begrüßt das Vorgehen der Staatsanwaltschaft.


Rassismus am Straßenrand? Staatsanwaltschaft prüft nun brisante Vorwürfe gegen Polizei Calw
Die Behörde teilt diese Woche auf Nachfrage mit, dass das Ermittlungsverfahren bereits Anfang Juli eingestellt worden sei. Geführt wurde es gegen Unbekannt, mithilfe des Polizeipräsidiums Reutlingen. Es ging um Beleidigung – Rassismus sei juristisch keine Straftat, hatte Pressestaatsanwalt Lukas Bleier bereits vor einigen Wochen erklärt. „Keiner der vom angeblich Geschädigten erhobenen Vorwürfe konnte durch die durchgeführten Ermittlungen belegt werden“, teilt er nun mit.
Der 30-jährige Radfahrer hatte nach einem Unfall mit einem Auto bei einer Tankstelle in Calw der PZ geschildert, dass er wegen einer Wunde am Bein am Boden gelegen und vor Schmerzen geschrien habe. Die beiden Polizisten hätten ihm aber immer wieder einen Krankenwagen verweigert. Als er Stunden später selbstständig in die Klinik gegangen war, hatte er dort angegeben, durch den Unfall in die Luft geschleudert worden zu sein und einen Salto geschlagen zu haben, ehe er auf dem Boden gelandet sei.
Die Staatsanwaltschaft teilt dazu mit: „Das gesamte Unfallgeschehen wurde durch die Überwachungskamera der dortigen Tankstelle aufgezeichnet. Zu keinem Zeitpunkt lag oder saß der angeblich Geschädigte auf dem Boden.“ Dieser sei auch nicht vom Rad auf den Boden gestürzt, sondern habe sich mit Ausfallschritten abfangen können. „Der angeblich Geschädigte stand über einen Zeitraum von mehr als 20 Minuten durchgängig auf den Beinen und unterhielt sich mit Zeugen, bevor die Polizeibeamten eintrafen. Auch nach deren Eintreffen ergaben die Aufzeichnungen keinerlei Anhaltspunkte für eine Hilfsbedürftigkeit des Mannes“, so Bleier weiter. Die erhobenen Vorwürfe im Hinblick auf eine angeblich unterlassene Hilfeleistung hätten somit objektiv widerlegt werden können.


Wurde Calwer Radfahrer ein Krankenwagen verwehrt und mit Abschiebung gedroht? Die Polizei dementiert
Und was sagen die Ermittler zu den Anschuldigungen des Radfahrers, dass die Polizisten ihm als Migranten angeblich Rechte abgesprochen und ihm mehrfach die Abschiebung angedroht hätten. „Die erhobenen Vorwürfe angeblicher rassistischer Beleidigungen konnten ebenfalls nicht belegt werden“, sagt Bleier. Trotz mehrfacher polizeilicher Vorladung sei der angeblich Geschädigte nicht zu angesetzten Vernehmungsterminen erschienen. „An einer Tataufklärung war dieser somit offensichtlich nicht interessiert. Ein Strafantrag wurde ebenfalls nicht gestellt.“ Dafür ermittelt die Behörde nun wegen des Verdachts der Verleumdung gegen den 30-Jährigen, der nach eigener Aussage in Deutschland geboren ist und als Staatenloser eine Duldung hat.
Das sagt ein Polizeigewerkschafter
„Solche Anschuldigungen gegen Polizeibeamte wie in Calw Anfang Mai kommen immer wieder vor“, erzählt Ralf Kusterer, Landesvorsitzender und stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft DPoIG (Archivfoto: Meyer) . Bei den Ermittlungen stellten sich diese dann aber genauso oft als haltlos dar. Derartige Vorwürfe würden der Polizei schaden und ein Bild zeichnen, dass nicht der Realität entspreche. „Mir ist ein einziger Fall bekannt, bei dem ein Beamter entlassen wurde.“ Kusterer betont aber auch: „Das ist ein ganz sensibles Thema und es gibt überhaupt keinen Zweifel: Wer sich rassistisch äußert oder verhält und nicht nach der freiheitlich-demokratischen Grundordnung handelt, hat im Polizeidienst nichts verloren.“
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Verleumdung begrüßt der Gewerkschafter aus dem Pforzheimer Stadtteil Huchenfeld. Die beiden Polizisten, die am Pranger gestanden hätten, seien nun rehabilitiert.
Das sagt die Partei „Die Linke“
„Die Linke“ hatte den angeblichen Rassismusvorfall an der Calwer Tankstelle in einer Pressemitteilung publik gemacht und Aufklärung gefordert. Der ehemalige Bundestagskandidat und jetzige Landtagskandidat der Partei, Thomas Hanser aus Calw, hatte sich für den 30-Jährigen stark gemacht und sagt zur aktuellen Wendung: Eine unabhängige Bewertung des Ermittlungsverfahrens sei der Linken nicht möglich, da der Kreisverband keine Akteneinsicht habe. „Merkwürdig ist: Im Verfahren wegen angeblicher Verleumdung wurde ich zur Zeugenaussage geladen – im Zusammenhang mit den Vorwürfen von Rassismus und unterlassener Hilfeleistung jedoch nicht.“ Laut Aussage eines Polizisten, der Hanser wegen dem Vorwurf der Verleumdung vernommen habe, seien bei diesen Ermittlungen Zeugen gefunden worden – bei den schwerwiegenderen Vorwürfen gegen Polizeibeamte hingegen angeblich nicht. „Diese Ungleichbehandlung hinterlässt zumindest ein sehr fragwürdiges Bild“, so Hanser.
Die Linke vor Ort nehme den Fall weiter sehr ernst und werde sich dazu mit dem Landesverband austauschen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. „Klar ist aber: Fälle wie dieser zeigen erneut, dass wir dringend mehr Transparenz, unabhängige Kontrolle und eine Kultur brauchen, in der auch Fehlverhalten innerhalb der Polizei klar benannt und sanktioniert wird.“ Hanser und seine Partei fordern schon länger eine unabhängige Ermittlungsstelle bei Ermittlungen gegen Polizeibeamte.