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"Müssen deutlicher zeigen, was das Handwerk stark macht"

Genauer Datenabgleich: Kreishandwerksmeister Frank Herrmann (2. von links) und Matthias Morlock (rechts daneben) erläutern den PZ-Redakteuren Walter Kindlein (links) und Ralf Bachmayer neue Zahlen zur Situation des Handwerks. FOTO: MEYER

"Müssen deutlicher zeigen, was das Handwerk stark macht"

„Krisensicher“ sei eine Ausbildung im Handwerk so Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages e.V.

Wohnen & Garten

„Krisensicher“ sei eine Ausbildung im Handwerk, findet Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages e.V. (BWHT). Seine Meinung teilen 48 000 neue Auszubildende, rund ein Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Wie das Hier und Jetzt, aber auch die Zukunft des Handwerks aussieht, wollte die PZ von Frank Hermann, Kreishandwerksmeister, und Matthias Morlock, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, erfahren.

Die Welt scheint mit Corona, Klimawandel und Ukrainekrieg doch ziemlich aus den Fugen geraten. Die Wirtschaft – und damit nicht zuletzt das Handwerk – sind zumindest leicht angeschlagen. Wo sehen Sie die drängendsten Probleme?
Morlock
: Das Handwerk ist in allen Bereichen betroffen. Die Zinsentwicklung sowie die Kaufzurückhaltung zeigen natürlich Wirkung. Doch die Stimmung im Handwerk darf man nicht pauschal beurteilen, die Problemlagen sind sehr unterschiedlich gelagert und ausgeprägt.

Besonders betroffen von der Krise ist wohl die Baubranche, was auch dem enormen Zinsanstieg geschuldet ist?
Herrmann: In große Schwierigkeiten ist insbesondere der private Wohnungsbau geraten. 80 Prozent weniger Aufträge – das ist natürlich ein Wort. Wer da nicht woanders ein Bein drin hat, steckt wirklich in der Klemme. Anfang des Jahres war die Stimmung noch richtig gut, dann ist sie gekippt. Die Kunden warten, die Verunsicherung ist einfach groß, was etwa in Sachen Unterstützung beim Heizungsgesetz herauskommt.

"Ausbildungsjahre können sicherlich auch zu einer persönlichen Entwicklung beitragen."
Matthias Morlock
Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft

Eben das Heizungsgesetz ist wohl ein ganz besonderer Aufreger. Wie beurteilen Sie das Gesetz nach all dem Gerangel?
Morlock
: Die Diskussion hatte durchaus etwas Positives. Sanitär und Heizung war plötzlich in aller Munde. Was sich dann auch positiv auf die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen ausgewirkt hat.

Herrmann: Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das Heizungsgesetz war richtig, vielleicht von den Zielen her etwas zu überambitioniert. Auch hat natürlich die ganze Kommunikation der Politik viel zu wünschen übrig gelassen. Der Kern ist aber richtig. Das A und 0 ist jetzt aber eine ebenso großzügige wie klare Finanzierungsregelung. Denn ein Großteil der Menschen steht zur Energiewende. Da muss einfach Vertrauen aufgebaut werden.

Apropos Nachhaltigkeit, Umwelt und Klima: Berufsbilder wie etwa Anlagenmechaniker Sanitär Heizung Klima profitieren davon, andere Traditionsberufe sind auf dem Rückzug. Bleibt dieser Trend bestehen?
Morlock
: Der von Ihnen angesprochene Ausbildungsberuf hat durch die klimapolitischen Herausforderungen definitiv an Zulauf gewonnen, die Ausbildungszahlen in der Nahrungsmittelbranche – etwa beim Bäckerhandwerk – sind nach wie vor als kritisch zu bewerten. Insofern ist da schon ein gewisser Trend abzulesen. Wobei sich Trends auch umkehren können, wie wir beispielsweise bei der Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker sehen. Die Zahl an Azubis hat hier in den vergangenen Jahren etwas geschwächelt, nun aber wieder zugelegt. Das belegen neueste Daten der Berufsschule Alfons-Kern-Schule in Pforzheim.

Handwerk und Ausbildung – diese beiden Komponenten sind, gelinde gesagt, immer noch kein besonders gutes Team. Woran liegt es?
Herrmann
: Wenn wir uns die Kampagnen aus dem Handwerk anschauen, sehen wir, dass wir Erfolg haben – allerdings nur bei denen, die wir auch erreichen. In der Fläche hapert es hier sicherlich noch. Grundsätzlich muss man schon festhalten, dass die Jugendlichen noch nie so gut an Informationen etwa durch Internet und soziale Medien herankommen konnten, wie jetzt. Und dennoch, da stimmen wir Ihnen zu, müssen wir vor allem auch an Gymnasien mehr an Hintergrund und Wissen zu Handwerksberufen vermitteln. Schließlich werden mittlerweile rund 50 Prozent der Schüler an Gymnasien unterrichtet, von denen wiederum viele sich grundsätzlich für einen Handwerksberuf interessieren könnten. Ergänzend dazu besteht ja von Seiten etlicher Schulleiter von Gymnasien schon Interesse an einem Plus an Berufsorientierung – von unserer Seite aus natürlich sowieso. Vielleicht wäre hier eine Aufwertung oder auch Neu-Orientierung des Arbeitskreises Wirtschaft-Schule von Vorteil.?

Morlock: Als weiteren Faktor, der es Jugendlichen – trotz vorhandenen Neigungen und Interessen – teilweise erschwert, eine handwerkliche Ausbildung anzustreben, ist das Elternhaus. In vielen ist selbst oftmals kein Bezug zu handwerklichen Tätigkeiten vorhanden und kann somit für diese auch kein Interesse vermittelt werden.

"Ein attraktiv bezahlter Helferjob bleibt eben immer ein Helferjob, ohne Karrierechancen."
Frank Herrmann
Kreishandwerksmeister

Unser Eindruck ist, dass Jugendliche und Schulabgänger entweder ein Studium oder einen attraktiv bezahlten Helferjob einer Ausbildung im Handwerk vorziehen – warum ist das so?
Herrmann
: Weil oftmals nicht weit genug gedacht wird. Ein attraktiv bezahlter Helferjob bleibt eben immer ein Helferjob, ohne Karrierechancen. Und Studieren hört sich ja vordergründig auch attraktiv an. Doch sollte man dazu wissen, dass von den 2,5 Millionen Studierenden schlussendlich 50 Prozent weniger als ein Auszubildender mit Gesellenbrief verdienen. Nicht zu vergessen: Wer studieren will, kann von einer vorher absolvierten Ausbildung immer noch profitieren.

Morlock: Wer jetzt hier die angeblich verlorenen Jahre anführt, sollte auch sehen, dass viele Schulabgänger schon sehr jung anfangen zu studieren – ohne die notwendige Reife für eine Entscheidung für den weiteren Lebensweg zu besitzen. Die Ausbildungsjahre können hier sicherlich auch zu einer persönlichen Entwicklung beitragen – ein Studium ist im Anschluss dadurch ja nicht ausgeschlossen. Ralf Bachmayer und Walter Kindlein