
Pforzheim. Die traditionsreiche Pforzheimer Handwerksbäckerei Wiskandt steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und strebt in einem Insolvenzverfahren die Sanierung an. Alle sieben Wiskandt-Filialen in Pforzheim, Birkenfeld und Kieselbronn seien unverändert zu den gewohnten Zeiten geöffnet, heißt es in der Pressemitteilung der Kanzlei Schultze & Braun. Wobei die Filiale am Ludwigsplatz in Dillweißenstein nach PZ-Informationen derzeit geschlossen ist.
Rechtsanwalt Holger Blümle wurde vom Amtsgericht Pforzheim zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Er verschaffte sich am Montag bei einem Besuch in der Goldstadt einen ersten Überblick.
Hohe Preise für Energie und Rohstoffe, der Preisdruck durch starken Wettbewerb sowie ein verändertes Konsumentenverhalten seien Auslöser der wirtschaftlichen Schieflage, heißt es zu den Gründen. Janis Wiskandt (31) ist der Weg zum Amtsgericht nicht leicht gefallen, wie er im Gespräch mit der PZ erklärt. Die Bäckerei gilt als Institution in der Goldstadt. Dort wird noch selbst gebacken, anders als bei vielen Bäckerei-Filialen. „Es gibt kaum noch produzierende Lebensmittelbetriebe in Pforzheim abseits der Gastronomie“, betont Wiskandt. Entsprechend sieht er sich in der Verantwortung, die handwerkliche Tradition nicht sterben zu lassen.


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„Unser Ziel ist es, den Handwerksbetrieb zu erhalten. Es ist eine alteingesessene Bäckerei mit einer treuen Stammkundschaft und einer engagierten Belegschaft“, teilt Blümle mit. „Mit einem geordneten Insolvenzverfahren haben wir gute Chancen, die Bäckerei finanziell und operativ neu aufzustellen und den Herausforderungen zu begegnen, die der Markt für solche Handwerksbetriebe gerade bereitstellt.“
Ursache der wirtschaftlichen Schieflage des in dritter Generation geführten Handwerksbetriebs sei das Zusammenwirken verschiedener Entwicklungen am Markt. „Supermärkte und Discounter haben ihr Sortiment an Backwaren extrem ausgebaut. Sie und die großen, industriell fertigenden Bäckereiketten bieten die Ware zu Preisen an, die ein regionaler Handwerksbetrieb einfach nicht bieten kann.“
Die Kunden kommen seltener in die Filialen. Weil die wirtschaftliche und politische Lage zudem unsicher ist, verzichten viele immer häufiger auf das süße Stückchen vom Bäcker.


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Insolvenzgeld für Beschäftigte
Die rund 50 Beschäftigten seien bereits über das Verfahren und die nächsten Schritte informiert worden, heißt es in der Mitteilung weiter. Ihre Löhne und Gehälter würden über das Insolvenzgeld abgesichert. „Wir starten bei der Sanierung der Bäckerei nicht bei Null“, so Blümle. Janis Wiskandt habe sich schon vor dem Insolvenzantrag professionelle Beratung ins Haus geholt, um das Unternehmen neu aufzustellen und strategisch neu auszurichten. „Auf diesen Erkenntnissen könne man ein Konzept entwickeln, mit dem die Bäckerei wieder auf ein stabiles Fundament gesetzt wird“, sagt Blümle. „Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen kann.“
Janis Wiskandt will nichts schönreden. Angefangen hätten die Probleme schon im Jahr 2023. Damals landete das Unternehmen auf der sogenannten „Ekelliste“. Das ist ein Online-Portal des Landes Baden-Württemberg für Betriebe in der Gastronomie, die bei Lebensmittelkontrollen ein Bußgeld über 350 Euro aufgebrummt bekommen haben. Die Mehlmotte hatte damals in der Filiale am Sonnenhof zugeschlagen, ein ungebetener Gast in vielen Bäckereien. Die damaligen Umsatzverluste habe man kompensieren und das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen können.


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Blick zurück
Im September 1969 übernahm Bäckermeister Günther Wiskandt mit seiner Frau Gisela die Bäckerei Österle an der Bleichstraße 101 in Pforzheim, wo auch die Backstube ist. Im Jahr 1994 übernahm Jörg Wiskandt, der Sohn von Gisela und Günther Wiskandt, mit seiner Frau Birgit die Bäckerei. Sie eröffneten bis 2019 vier weitere Verkaufsstandorte. Im 50. Jahr des Bestehens des Unternehmens Bäckerei Wiskandt im Jahr 2019 hatte Janis Wiskandt in dritter Generation übernommen. Zudem wurde eine weitere Filiale in Kieselbronn eröffnet. Im September 2022 hat der Familienbetrieb die Bäckerei Bender mit ihren drei Standorten im Sonnenhof, Dillweißenstein und Büchenbronn übernommen.


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Gemeinsam mit Daniel Ghebregrisch, Marcus Mürle und FDP-Stadtratskollege Alexander Bader hatte der Jungunternehmer vor einigen Jahren die „Eden Bar“ am Pforzheimer Schlossberg eröffnet. Aufgrund der schweren Krankheit seines Vaters Jörg, der 2021 starb, entschloss sich Janis Wiskandt, den Familienbetrieb weiterzuführen statt in der Politik Karriere zu machen. Als FDP-Spitzenkandidat für den Wahlkreis Pforzheim hätte er im zweiten Anlauf nach 2017 vermutlich den Sprung in den Bundestag schaffen können – das gelang damals seinem Parteifreund Rainer Semet.