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Polizei und Rettungswagen sind am Donnerstag nach einer Auseinandersetzung zum Amtsgericht geeilt.  Foto: Ketterl/PZ-Archiv 

Eskalation vor Gericht – Waffennarr muss in Haft

Pforzheim. Bereits seine Festnahme hatte überregional für Aufsehen gesorgt – ein Sondereinsatzkommando überrumpelte den Schwerbewaffneten Anfang des Jahres auf einem Garten-Grundstück bei Dietlingen (die PZ berichtete). Auch am Mittwoch war ein TV-Team des SWR vor Ort, als der Mann im Pforzheimer Gerichtssaal einen weiteren großen Polizeieinsatz provozierte.

Bis zu acht Beamte waren nötig, um den 44-jährigen Kampfsportler niederzuringen, ihn mit Handschellen und Fußfesseln zu fixieren. Erst dann konnte die Verhandlung beginnen, die für den wiederholt gewalttätigen Waffennarren mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten endete. Ob es sich bei dem Pforzheimer um einen sogenannten „Reichsbürger“ handelt, wurde nicht geklärt – Indizien gab es mehrere.

So weigerte er sich, vor dem Richter Platz zu nehmen, prangerte „Willkür“ an, störte lautstark die Verlesung der Anklageschrift und wurde durch Kommentare aus dem Publikum befeuert. „Standhaft bleiben“, raunte ihm ein Zuhörer zu, „Die machen eh, was sie wollen“ oder „Frag’ ihn, ob er ein gesetzlicher Richter ist“. Der Angeklagte antwortete: „Kommt alles noch.“ Die Geduld und das gute Zureden der Polizisten nutzten nichts: Der Mann musste auf die Anklagebank gezwungen werden. Doch dann sollte doch alles anders kommen.

Nach mehreren Unterbrechungen konnte der Vorsitzende des Schöffengerichts, Oliver Weik, das vornehmen, was er am Ende selbst als „konstruktive Verhandlungsführung“ bezeichnete. Der inzwischen wieder von den Fesseln befreite Angeklagte beantwortete Fragen und räumte die schwerwiegenderen der ihm vorgeworfenen Vergehen ein. Ja, er habe an besagtem Morgen im Garten eine geladene halbautomatische Pistole mit sich geführt. Und ja, die bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Pforzheim gefundene, ebenfalls geladene Pumpgun sei seine. Auch den Besitz von gut 1000 Schuss Munition, mehrerer Kampfmesser und eines Wurfsterns gab er zu.

Bis zum Ende zwei Versionen gab es indes von einem mitverhandelten Vorfall auf einem Dietlinger Feldweg. Dort hatte der Mann bereits im April 2016 auf einen Bauarbeiter eingeschlagen, weil dessen Fahrzeug ihn an der Durchfahrt hinderte. Es sei laut Weik zumindest nicht auszuschließen, dass sich der Beschuldigte provoziert gefühlt habe. Weil auch nicht eindeutig nachzuweisen war, dass der Mann ernsthaft plante, mit seinem gezückten Messer den Arbeiter zu verletzen, blieb es hier bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher statt gefährlicher Körperverletzung.

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Was sind «Reichsbürger»?

«Reichsbürger» wurden lange als Wirrköpfe und Querulanten beschrieben. In einem Info-Faltblatt des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz von Ende 2014 heißt es, seit den 1980er Jahren existierten Kleingruppen und Einzelpersonen, «die davon ausgehen, dass das Deutsche Reich (wahlweise das Kaiserreich oder das Dritte Reich) fortbesteht». «Reichsbürger» erkennen die Bundesrepublik nicht an, das Grundgesetz, Behörden und Gerichte auch nicht.

Wie viele Anhänger der «Reichsbürger»-Ideologie gibt es?

Die Zahl der «Reichsbürger» ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Es könnten inzwischen rund 14.000 - Tendenz steigend. Rund 1000 von ihnen zählen die Verfassungsschützer zu den Rechtsextremisten.

Warum ist eine klare Zuordnung von Verdächtigen zu den «Reichsbürgern» schwierig?

Auch weil es keine einheitliche Ideologie gibt. «Die Bewegung ist ausgesprochen heterogen», sagt Maaßen. Nicht alle beriefen sich aufs Deutsche Reich. Im Oktober hatte Maaßen dem Deutschlandfunk gesagt, es gebe «nicht die Reichsbürger, es gibt keinen Vorsitzenden und keine Hierarchie, sondern es gibt unterschiedlichste Gruppen und Einzelpersonen, die auch unterschiedliche Motive haben». Teils seien es Rechtsextremisten, die einen anderen Staat wollten, teils Geschäftemacher, «die einfach Reisepässe des Deutschen Reichs verkaufen wollen für 100 Euro», teils Spinner und Querulanten. Öffentliche Auftritte oder große Demonstrationen sind selten. Manche «Reichsbürger» kennen sich persönlich, andere kommunizieren vor allem über Chatgruppen oder Internetforen. Das macht die Beobachtung der «Reichsbürger» nicht gerade einfacher.

Wurde die Bewegung in der Vergangenheit unterschätzt?

Das kritisiert die gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus eintretende Amadeu-Antonio-Stiftung. Inzwischen aber sind "Reichsbürger" bundesweit im Visier der Verfassungsschützer von Bund und Ländern.

Wie gefährlich sind die «Reichsbürger» wirklich?

Auch hier lässt sich keine generelle Antwort geben. Ein Teil der Anhänger der Bewegung hat sich bewaffnet. Es gab auch schon tödliche Vorfälle: Im Oktober 2016 erschoss ein «Reichsbürger» bei Nürnberg einen Polizisten und verletzte drei weitere Beamte zum Teil schwer, als die Beamten die Waffen des Mannes beschlagnahmen wollten. Später verletzte ein «Reichsbürger» sechs Polizisten in Niedersachsen mit Pfefferspray.

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