


Pforzheim. Herbert Mann ist Rettungsdienstleiter beim DRK-Kreisverband Pforzheim-Enzkreis. Von der Drohung beim Notruf bis zum körperlichen Angriff – die Arbeit der Rettungskräfte wird immer schwieriger.
Da ist man fassungslos, anders kann ich das nicht beschreiben“, sagt Herbert Mann kopfschüttelnd. Worüber sich der 51-jährige Rettungsdienstleiter so ärgert? Gaffer am Unfallort. „Das sind bizarre Situationen, wenn Leute ihre Kinder auf die Schultern nehmen und an der Unfallstelle so weit wie nur möglich nach vorne laufen. Hauptsache, es wird alles gesehen“, konkretisiert er. Aber jeder müsse selbst entscheiden, ob er das seinem Kind antue. „Manche sind sich dessen gar nicht bewusst, was sie da treiben“, sagt der 51-Jährige.

Mehr Respekt, bitte: Rettungsdienstleiter Herbert Mann
Es gibt auch Situationen, in denen die Rettungskräfte mehrere Hundert Meter entfernt parken und bis zur Unfallstelle laufen müssen. In anderen Fällen muss die Gegenfahrbahn gesperrt werden, damit die Einsatzkräfte an die Verletzten gelangen können, weil die Rettungsgasse nicht frei gehalten wird. Teilweise wüssten Lkw-Fahrer nicht, wie sie sich auf der linken oder rechten Fahrspur verhalten müssten, wo sie Platz machen sollen und würden sich dann falsch entscheiden, erklärt Mann. Dann ist zu, da helfen auch Martinshorn und Blaulicht nicht weiter. Und das, obwohl es oft um jede Sekunde geht für jene, die weiter vorne in ihren zerstörten Fahrzeugen eingeklemmt sind. Aber Herbert Mann ist optimistisch: „Ich finde, das ist definitiv schon besser geworden. Viele haben die Rettungsgasse beworben. Das Bewusstsein ist jetzt da.“ Natürlich müsse man weiter dranbleiben und nicht müde werden, sie zu erklären. Er höre auch immer wieder, dass sich die Situation mit den Gaffern bessere. Das liege aber nicht unbedingt an der Einsicht der Betroffenen, sondern an den höheren Strafen, die verhängt werden.


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Gewalt vor Ort
Herbert Mann erlebt nicht nur diese Respektlosigkeit gegenüber Verletzten am Unfallort. Er hat sie selbst schon zu spüren bekommen. Etwa bei jenem Einsatz, als ein Mann nicht zulassen wollte, dass die Rettungskräfte sein Kind versorgen. „Er hatte sein Kind selbst angefahren und wollte uns nicht zu ihm lassen“, erzählt Mann. Das ging so weit, dass der Mann die Rettungskräfte schubste und ihnen körperliche Gewalt androhte. Wie reagiert man in einem solchen Fall? Nur wenige Meter entfernt liegt ein Kind, das Hilfe benötigt. Herbert Mann und seine Kollegen können die leisten. Aber dafür das eigene Wohl aufs Spiel setzen? „Das war eine bizarre Situation. In einem solchen Fall warten wir, bis die Polizei kommt und den Pöbler festsetzt“, erklärt Mann. Zumindest war das Kind nicht schwer verletzt. Aber das hätte auch anders laufen können, das ist den Rettungskräften bewusst.
Ein anderes Problem: Drohungen bei Notrufen in der Leitstelle. „Die Leute erwarten heutzutage, dass ihnen geholfen wird. Sie drohen sogar mit Anzeigen, wenn nicht sofort ein Rettungswagen losgeschickt wird“, erzählt der 51-Jährige. Dabei ist nach Einschätzung der Experten in der Leitstelle ein Rettungswagen manchmal gar nicht nötig.
Wie sehr Respektlosigkeiten und Gewalt psychisch verletzen, musste einer seiner Mitarbeiter erfahren. „Das war damals vor der Schlössle Galerie. Der Kollege wurde zu einer Schlägerei gerufen und hatte bei der Anfahrt das Fenster unten, um zu schauen, wo er genau hinmuss. Aus dem Nichts packte ihn plötzlich einer der Akteure von draußen durch das Fenster und versuchte, ihn mit Gewalt aus dem Auto herauszuziehen“, schildert der Rettungsdienstleiter die Situation. Ein traumatisches Erlebnis. „Es hat sehr lange gedauert, bis der Mitarbeiter wieder arbeiten konnte. Vor allem vor Nachtschichten hatte er Panik“, sagt Mann. Er ist bestürzt über diese Respektlosigkeit, die in Gewalt mündet – und das gegenüber Menschen, die da sind, um zu helfen.
Eigenschutz geht immer vor
Solche Erlebnisse sind nicht Normalität, das hält Herbert Mann fest. Aber sie häufen sich – besonders an Freitag- und Samstagabenden. „Da gibt es Partys, da fließt der Alkohol – und dementsprechend sind da auch die Hemmschwellen niedrig. Situationen eskalieren schneller“, erzählt Mann.
In solchen Fällen gilt für die Rettungsdienstmitarbeiter: Eigenschutz geht vor. „Sie sind nicht im Einsatz, um sich zu verteidigen, sondern um zu helfen. Wenn das nicht möglich ist aufgrund der äußeren Umstände, gehen meine Leute nirgends rein.“ Am Ende der Kette von Respektlosigkeiten gegen Einsatzkräfte sind es die Verletzten, die darunter zu leiden haben. Herbert Mann ist davon überzeugt, dass die Arbeit der Helfer früher mehr geschätzt wurde. „Wenn der Rettungswagen gekommen ist, ob mit oder ohne Blaulicht, dann wurde er vorgelassen. Damals war sonnenklar: Da kommt jemand und hilft uns. Heute ist das nicht mehr so. Die Arbeit von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst wird gar nicht mehr anerkannt. Stattdessen heißt es: ‚Warum habt ihr so lange gebraucht?‘ oder ‚Ihr macht das falsch‘. Das ist eine beunruhigende Entwicklung.“ Trotzdem würde Herbert Mann seinen Job nie tauschen wollen – und das seit 26 Jahren. „Ich liebe es, Menschen, die in Not sind, helfen zu können. Das ist der Antrieb, den ich über die Jahre habe und der auch bleiben wird – egal, was kommt“, sagt er.
WAS MICH WIRKLICH NERVT
„Wir müssen uns wehren, statt helfen zu können“
„Es macht mich wütend, dass unsere Leute ihre Arbeit nicht machen können. Stattdessen müssen sie sich mit der Thematik beschäftigen, sich in gewisser Weise wehren zu müssen. Das kann nicht sein“, sagt Herbert Mann. Teilweise kämen Mitarbeiter des Rettungsdienstes in Situationen, in denen sie nicht zu den Verletzten durchkommen, weil „die Aggressionen außen herum viel zu groß sind“. Das ärgere und nerve ihn. „Wir können unseren Job nicht machen. Das, wofür wir eigentlich da sind und wofür wir schließlich auch gerufen wurden“, so Mann.
WAS ICH MIR WÜNSCHE
„Es muss ein Umdenken stattfinden“
„Es muss einfach sein, dass die Einsatzkräfte, die ihren Job erledigen wollen, wieder ohne Hindernisse an den Einsatzort und die Patienten kommen“, sagt Herbert Mann. „Ich wünsche mir, dass ein Umdenken stattfindet.“ Es sollte außer Frage stehen, dass die Mitarbeiter des Rettungsdienstes ihre Arbeit durchführen können, wie sie es sollten und müssten, so Mann.
In der Serie „Mehr Respekt, bitte“ stellt die „Pforzheimer Zeitung“ wöchentlich eine Person vor, die in ihrem Beruf, Ehrenamt oder im Alltag mit mangelndem Respekt in Berührung kommt. Neben der Sonderseite in der gedruckten Ausgabe der PZ gibt es Eindrücke von den Protagonisten auf den Instagram- und Snapchat-Accounts von PZ-news (@pznews).
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