Auf die Zerstörung folgte vielerorts der Wiederaufbau - auch hier in Pforzheim.

privat
Pforzheim
Fünf Augenzeugen berichten, wie sie den Tornado 1968 er- und überlebt haben

Pforzheim. Dutzende PZ-Leser haben ihre Erinnerungen an den 10. Juli 1968 in Worte gefasst. Es war der Tag vor knapp 50 Jahren, an denen ein Tornado die Region heimsuchte, der bis dahin unvorstellbar gewesen war. Fünf dieser Augenzeugenberichte zitiert PZ-news an dieser Stelle.

Anni Weik, Waldrennach: „Am 10. Juli 1968 war ich bei einer Freundin in Grunbach. Wir wollten ausgehen. Plötzlich kam sie ins Zimmer, sagte: ‚Fahr besser schnell heim, da kommt ein Unwetter‘. Diese Fahrt bleibt mir ewig in Erinnerung. Von Büchenbronn runter sieht man bis in den Pfälzer Raum. Es war muxmäuschenstill, richtig gespenstisch bot sich ein Himmel zwischen hellgelb und schwarz, ein Blitz nach dem andern war zu sehen. An jenem Tag wurde vom Café Fuchs die Filiale in der Bleichstraße eingerichtet, wo auch meine Mutter tätig war. Zu dritt mussten sie dort die Eingangstür zuhalten – es ging gerade noch mal gut. Dort bin ich hingefahren. Auch meine Mutter sagte: „Fahr schnell heim und schau, dass alle Fenster zu sind.“ Ich bekam mit Müh und Not mein Auto vor der Haustür abgestellt, ging die Treppe hoch in unsere Wohnung in der Leopoldpassage. Dann kam der tosende Lärm, ich konnte nicht mal mehr ins Bad und brachte die Zimmertür nicht mehr auf – so groß war der Druck. Doch als wir später von dem wahren Desaster erfuhren, waren wir unserem Schutzengel dankbar.“

Bernd Maderner, Pforzheim: „An den ,Day after‘ des Tornados kann ich mich gut erinnern. 13 Jahre war ich alt. In der Schule wurde bekannt gegeben: ,Wer sich an den Aufräumungsarbeiten beteiligt, hat schulfrei.‘ Das musste man uns nicht zweimal sagen. In einem Hinterhof an der Calwer Straße wurden wir beauftragt, einen geknickten Baum zu fällen. Zu zweit machten wir uns ans Werk. Wie wir es in Filmen gesehen hatten, wechselten wir uns beim Zuschlagen ab. Doch als ich meine Axt im Baum versenkt hatte, kam ich nicht gleich heraus. Mein Partner schlug im gewohnten Takt zu. Das Resultat: Axt im linken Handrücken – Notaufnahme Städtisches – vier Stiche. Die Narbe ist bis heute sichtbar.“

Heinz Dengler, Pforzheim: „Die Kinder lagen schon im Bett, als meine Frau ein furchtbares Geräusch vernahm – sie dachte, eine Atombombe sei gezündet worden. Sie holte instinktiv die kleine Tochter aus dem Kinderzimmer, aber schon im Flur, auf dem Weg in den Keller, riss das Oberlichtfenster auf und Ziegeltrümmer polterten auf die Platten. Ich selbst war an diesem Tag beruflich in Saarbrücken. Abends kam ich zurück nach Pforzheim. Um meinen Lieben eine Freude zu machen, fuhr ich zuerst in die Innenstadt und kaufte drei Portionen Speiseeis. Die Leute wussten noch nicht, was 20 Minuten vorher passiert war! In Höhe der Goldschmiedeschule lagen Bäume und Masten über der Straße. Ich musste das Fahrzeug stehenlassen. Der kurze Weg zu Fuß zur Kantstraße war eine Qual. Mit dem Schlimmsten war zu rechnen. Es sah aus wie nach einem Bombenangriff. Überglücklich war ich dann, als ich alle gesund antraf. Der Schaden am erst zehn Monate alten Haus war beträchtlich. Diese Realität drang aber kaum ins Bewusstsein, denn es war wie im Krieg – Hauptsache überlebt!“

Marion Barmeyer, Pforzheim: „Wir wohnten damals in der Hegelstraße. Mein Bruder und ich schliefen zu der Zeit. Es war aber abends schon ein drückendes, merkwürdiges Wetter. Seltsam. Dann wurde es lauter. Mein Vater holte uns aus unseren Betten. Nach kurzer Diskussion wurde ich aus meinem Zimmer gezerrt, bis ich wach war. Da hatte der Tornado bereits begonnen. Meine Eltern machten Druck, dass wir schnell in den Keller gingen. Ich fand das aufregend. Mein Bruder hatte etwas Angst. Aber auch unten wurde es lauter. Unsere Haustüre wurde auf einmal aufgerissen, es ging alles schnell. Später sind wir hoch. Ich wunderte mich über die ,weiße Baumwolle‘ auf unseren Rosen im Vorgarten. Meine Mutter erklärte mir dann, es sei Dämmmaterial vom Dach. Dann sah man Ziegel auf der Straße liegen. Das Fenster im Zimmer meines Bruders war ganz kaputt. Und wäre mein Vater nicht so schnell ins Zimmer meines Bruders, wäre er tot gewesen. Große Ziegel lagen auf seinem Kinderbett. Meine Eltern dachten zuerst, der Tornado sei durch ganz Pforzheim ,durchgeflogen‘. Daher gingen sie und andere Eltern davon aus, dass auch keine Schule stattfindet. Am übernächsten Tag sind wir wieder zur Schule und wir waren erstaunt, dass uns einige der Lehrer fragten, wieso wir am Vortag nicht zur Schule gekommen sind. Als wir das vom Tornado berichteten, waren sie ganz erstaunt. Einige wussten von nichts, bei denen war auch nichts passiert. Da kam der Tornado einfach nicht durch.“

Herbert Speier, Birkenfeld: „Auf dem Gelände meines Arbeitgebers, der Firma RUF KG in der Panoramastraße in Birkenfeld, richtete der Tornado schwere Schäden an. Auch der Weg zum Hilfseinsatz war schwierig, denn die Feuerwehr hatte verschiedene Straßen gesperrt. Mein Einsatz war beendet, nachdem ich in einen Nagel getreten war, der in den Fuß eingedrungen ist. Als der Fuß versorgt war, sind wir zu Freunden in der Gravellotestraße in Pforzheim gefahren, wo es das Dach abgedeckt hatte. Meine Frau erinnert sich noch, dass wir auf dem Weg zur Gravelottestraße durch die Adolf-Richter-Straße fuhren. Das einzige und auch höchste Gebäude war, das Gebäude der Firma Mercedes Baral, wo ein Auto in den Zweigen eines Baumes hing. An meinen Fotoapparat habe ich in jenen Stunden nicht gedacht, wir sind noch ohne Handy mit der Situation fertig geworden.“

Am 4. Juli um 19 Uhr blickt die "Pforzheimer Zeitung" im PZ-Forum auf den Tornado vor 50 Jahren zurück. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung aber erforderlich - denn es sind nur noch wenige Plätze frei: per E-Mail an verlag@pz-news.de oder telefonisch unter (0 72 31) 93 31 25. Auf dem Podium sitzen Tornado-Experte Andreas Friedrich, die Augenzeugen Hubert Mahle und Eva Zaudtke sowie Jürgen Ruf, der den Tornado-Einsatz 1968 als Feuerwehrmann meisterte. Bei der Podiumsdiskussion „50 Jahre Tornado“ können auch Zuhörer ihre Fragen loswerden. Zudem werden historische Filmaufnahmen von den Tagen nach dem Tornado gezeigt. Auch eine Audioaufnahme des Sturms wird zu hören sein.

[Teil 1 der PZ-Serie zum Tornado vor 50 Jahren: Augenzeugin Else Maili: „Dass wir überlebt haben, war ein Wunder“]

[Teil 2 der PZ-Serie zum Tornado vor 50 Jahren: Der lange Weg des tödlichen Wirbels - alle Fragen, alle Antworten]

[Teil 3 der PZ-Serie zum Tornado vor 50 Jahren: Kein Strom und nur eine Motorsäge: Der Katastropheneinsatz]

[Teil 4 der PZ-Serie zum Tornado vor 50 Jahren: "Wie ein Güterzug": PZ-Leser erinnern sich an den Tornado]