

- Simon Püschel
Es ist 19.12 Uhr, als Bazon Brock auf sein eigentliches Thema kommt: Design. Da ist beim ersten Vortrag der „Artefakte“-Reihe der Fakultät für Gestaltung schon rund eine halbe Stunde Zeit vergangen. Was die Zuhörer in der übervollen Aula bis dahin gehört haben, gibt die Richtung des weiteren Abends vor.
Ja, um Design geht es auch ein bisschen. Um was es aber eigentlich geht, ist schnell klar: um den Künstler und Philosphen Brock selbst – und seine ganz subjektive Sicht auf die Geistesgeschichte.
In immer größeren Sprüngen durcheilt Brock die Felder von Kunst, Philosophie, Religion – um dabei hastig von beeindruckender Erkenntnis zu schön scheinendem Sophismus zu hetzen.
Die Zuhörer sind gebannt, auch der überwältigende Applaus am Ende des fast zweistündigen Vortrags zeigt: Er hat Freude gemacht. Denn Brock ist eine faszinierende Person. Der selbst ernannte „Denker im Dienst“ ist vor allem ein Mann der steilen These. Aus seinen fast 80 Jahren Lebenserfahrung, seiner großen Lebensspanne als Professor und Denker schafft er es Ansichten zu gewinnen, die einen faszinierenden Blick auf die Kulturgeschichte ermöglichen. Dieses weite Feld ist seine Spielwiese. Da ist ist viel Bildung in ihm. Mit Vehemenz jongliert Brock mit zentnerschweren Themen der europäischen Tradition. Nicht immer gelingt dabei eine überzeugende Synthese.
Profunde Bildung
Er setzt bei seinen Zuhörern voraus, was wohl nicht mehr vorauszusetzen ist. Nicht nur profunde kunsthistorische Kenntnisse, auch die der abendländischen Philosophie und frühchristlichen Apologetik. Doch Brock (79) gelingt es, dass aus der Überrumpelung gerade Faszination entsteht – und damit Horizonterweiterung im besten Sinne. Bei manchem lateinischen Zitat wirken die Zuhörer gerade froh, es nicht verstanden zu haben – dann wird es wohl besonders wichtig sein.
Abseits dieser artistischen Grundkonstante des Abends gibt es einige faszinierende Einblicke in den Brock’schen Gedankenkosmos. Immer wieder rekurriert er auf das Italien der Renaissance. Über den Fall des Florentiner Baptisteriums, bei dessen Gestaltung die künstlerische Qualität über die Würde des Bildthemas triumphiert, macht er deutlich, dass in dieser Zeit etwas Einzigartiges geschieht. Er bezeichnet es mit dem Begriff „Autorität der Autorschaft“ und meint damit die Emanzipation des Künstlers. Der beginne nicht für einen Zweck, für eine Gruppe zu sprechen, sondern für die Kunst an sich. Sie ist es, die in der Gruppe der Vernünftigen zum Gegenstand eines Diskurses wird. Was schön ist, entscheidet die Kritik; das entscheiden die, die sich auskennen. Genau diese Fähigkeit spricht Brock der gegenwärtigen Öffentlichkeit ab. Der Markt sei es, der heutzutage allein über Kunst urteile. Eine richtige Aussage. In der Mantra-Artigkeit ihres Auftretens aber verliert sie den Reiz.
Design als moderne Disziplin
Dann endlich: das Design-Thema. Den Designer entdeckt Brock als Schlüsselfigur der Moderne – und beweist es an der historischen Verengung des Begriffs. Erst sei der Designer der Konstrukteur der gesamten Maschine gewesen. Später nur mehr der Gestalter der Außenhaut. Symptomatisch – so Brock – für die Moderne. Das Zeitalter, in der jeder Mensch Techniken wie Auto oder Flugzeug benutze, ohne auch nur irgendeine Ahnung über deren Wirkungsweise zu haben. Dem Designer käme dann die Rolle zu, diese Dissonanz durch gelungene Gestaltung zu überbrücken. Wirklich mehr über Design erfährt man nicht.
Jetzt steht die Moderne als Phänomen im Zentrum des Vortrags. Brock entwirft das Panorama eines Zeitalters des Widerspruchs. Unter der gelehrt klingenden „Normativität des Kontrafaktischen“ subsumiert Brock gegenrationale Tendenzen der Moderne. Sie zeichne sich gerade als Vernunftzeit aus, weil in ihr auch das Irrationale seinen Platz habe. Als Kronzeuge dieser gewagten These gilt ihm – beinahe bloß als Stichwort – das christliche Diktum des „credo, quia absurdum“ (Ich glaube, weil es absurd ist). Ein typisch Brock’scher Gedankengang, in dem sich Richtiges mit Falschem so apart mischt, dass es zu wirklicher Erkenntnis nicht kommt – aber doch zu einer faszinierenden Geistesanregung.
Als der Organisator der Reihe – Professor Thomas Hensel – den Vortrag mit Verweis auf den nächsten Redner, Künstler Jonathan Meese, beenden will, nimmt Brock noch einmal das Mikrofon an sich. Es wird klar: Brock redet gerne. Es macht Freude ihm zuzuhören. Am meisten ihm selbst.