Eine sichere Bank? Andreas Sarow, am Kran hängend, vor seinem neuen Kunstprojekt „Das bedrohte Haus“. Die Fertigstellung verzögerte sich wegen des Wetters, heute soll die Skulptur komplett sein. Foto: Meyer
Kultur
Neues Projekt von Andreas Sarow: „Geisterhaus“ wird „Das bedrohte Haus“
  • Michael Müller

Pforzheim. Er hat es schon wieder getan. Er hat das seit Wochen allein durch seine exponierte Lage ins Auge stechende „Geisterhaus“ im Pforzheimer Rod(ungs)gebiet „sarowisiert“.

Knallgelb wie das Comic-Vögelchen Tweety steht das Haus nun da. Ein riesiger, 13 Meter hoher Käfig ragt in den Himmel. Ganz fertig ist er noch nicht, erst am Samstag kommt ein Deckel drauf. Im Vogelkäfig steht das alte Haus, das nach der Rodung plötzlich allein auf weiter Flur stand. Jetzt wirkt es wie  ein kleines, schützenswertes Wesen, vor der beeindruckenden Aussicht über Pforzheim. Acht bis zwölf Wochen soll die Skulptur zu sehen sein. Dann erschließt die Stadt das Gebiet für neuen Wohnraum.

Viele Nachbarn ahnten bereits, dass sich etwas tut. Eine Anwohnerin sieht das mit gemischten Gefühlen. Ihre Befürchtung: „Gafftourismus, der vielleicht gleich noch geeignete Einbruchsobjekte ausspäht, hat niemand gern in der Nachbarschaft.“ Wieder war die inzwischen fünfte Guerilla-Aktion in der Region von Andreas Sarow genau geplant: Die langen Holz-Gitterstäbe wurden bei der Firma Goldmann vorgestrichen und vor Ort montiert. Am Freitagmorgen lieferte die Firma Schirdewan einen Autokran. Der kam jedoch auf dem matschigen Grundstück zunächst nicht ans Haus – der Projektstart verzögerte sich.

Nachdem der Diplom-Ingenieur mit Fachrichtung Architektur das Haus gesehen hatte, sei er auf die Kulturbürgermeisterin Sibylle Schüssler zugegangen, die den Kontakt zu den Hausbesitzern herstellte. Dort musste Sarow viel Überzeugungsarbeit leisten.

„Das bedrohte Haus“, wie er es nennt, widersetzt sich dem Kahlschlag. „Alles um dieses Haus wurde radikal abrasiert wie es nur durch eine Naturgewalt oder den Menschen möglich ist“, sagt der 43-Jährige.  Auch der Käfig werde es nicht „vor dem neuen Wohngebiet aus der Retorte“ schützen. Es wird weichen müssen. Sarow als Künstler fragt sich aber: Was wird kommen? „Wird sich die neue Bebauung im edlen Rodgebiet von spießigen Neubaugebieten unterscheiden?“ Eine jahrzehntealte Bau-Nutzungsschablone sei nicht das richtige Instrument für qualitative Architektur. „Tonziegel auf vorzeitliche Satteldächer und Geschossbau – das machen wir seit 100 Jahren so, aber das muss endlich aufhören.“ Sarow denkt vielmehr an eine freie skulpturale oder organische Architektursprache, wie sie oft nur bei modernen Großprojekten umgesetzt wird.

Mit dem „bedrohten Haus“ will er erneut eine Kontroverse anheizen, eine Diskussion anregen, die sich um Erhalt und Bestandsschutz auf der einen, der Lust an Neuem auf der anderen Seite entzündet. Und wie schon bei den vorigen Projekten dauert es nicht lange, bis Nutzer in den Sozialen Netzwerken Bilder hochladen und munter streiten. Ob das „derselbe Scheiß“ sei wie die schwarze Villa oder der „Wohnwagen-Schrott“ an der Hachelallee fragt einer. „Mal was anderes“, schreibt eine andere. Oder: Aktionskunst sei eben schwer zu verstehen. Sarow kann damit umgehen.

Seine Unternehmen gibt er derzeit ab, um sich intensiver diesen urbanen, an der Street-Art angelehnten Kunstprojekten zu widmen. Im Frühjahr sei gemeinsam mit der Stadt ein weiteres Projekt geplant. Das bestätigen Sarow und Schüssler.

Sibylle Schüssler, Kulturbürgermeisterin:

„Gebäude künstlerisch zu entfremden, neu zu programmieren, in einen anderen Kontext zu setzen, ist ein spannender Ansatz – der zum Nachdenken anregen kann, sicher auch polarisiert, aber insgesamt zur Auseinandersetzung mit und über Kunst im öffentlichen Raum führt.“

Andreas Sarow, Pforzheimer Künstler:

„Ich will nicht belehren, sondern auf eine Misere hinweisen, damit ein Umdenken stattfindet für neue Konzepte im Wohnungsbau – und wie man Einfamilienhäuser neu denken kann: vor allem weg davon, immer wieder Tonziegel auf vorzeitliche Satteldach-Häuser zu packen.“

Angelika Drescher, Kulturamtsleiterin:

„Neue Sichtweisen und Perspektiven einzunehmen - dazu regen Künstler wie Andreas Sarow an. Ich unterstütze solche wertvollen Initiativen gerne. Junge, freche Statements von Künstlern und Querdenkern tun unserer Stadt gut und setzen wichtige Impulse!“

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